Meditation über »Findom«

Die »Welt« berich­tet über »Fin­dom« und das The­ma scheint mir eine Fra­ge zu berüh­ren, die von all­ge­mei­ne­rer Bedeu­tung ist. Wir stel­len uns blind gegen Patho­lo­gien, die im Zusam­men­le­ben sicht­bar wer­den, indem wir sie in eine sim­plis­ti­sche libe­ra­le Ethik zwin­gen, in der alles okay ist, was frei­wil­lig zu gesche­hen scheint. Wobei Letz­te­res hier noch nicht ein­mal klar ist.

»Fin­dom« steht für »finan­cial Domi­na­ti­on« und ist wohl ange­lehnt an »Fem­dom« für »fema­le Domi­na­ti­on«. Eine Fin­dom ist so etwas wie eine Domi­na, die sich über das Inter­net männ­li­che »Skla­ven« hält. Die las­sen sich von ihr beschimp­fen und fin­den im Gegen­zug irgend­wie Befrie­di­gung dar­in, ihr Geld zu schi­cken. Anders als bei der klas­si­schen Domi­na fin­det das Gan­ze hier pri­mär vir­tu­ell statt. Das Geld ist aller­dings echt.

Mir scheint, man kann Din­ge wie die­se auf zwei grund­le­gend unter­schied­li­che Arten wahr­neh­men, und zwar abhän­gig davon, ob man vor­aus­setzt, dass es eine mensch­li­che Natur gibt – oder anders aus­ge­drückt, wie man sich die mensch­li­che Natur vor­stellt. Der Stand­punkt »es gibt kei­ne mensch­li­che Natur« wäre ja etwa gleich­be­deu­tend mit »die mensch­li­che Natur ist durch (annä­hernd) unend­li­che Wan­del­bar­keit cha­rak­te­ri­siert«. Wenn man meint, dass es eine mensch­li­che Natur gibt, die dem Leben gewis­se For­men und Mus­ter vor­schreibt, wird man sich des Ver­dachts nicht erweh­ren kön­nen, dass »Fin­dom« kei­ne gesun­de Pra­xis ist. Auf der ande­ren Sei­te kann man den Stand­punkt ein­neh­men, jede denk­ba­re Pra­xis sei so gut wie jede ande­re, solan­ge es selbst­be­stimm­te Erwach­se­ne sei­en, die sich dafür entscheiden.

Offen­kun­dig ist das mora­li­sche Prin­zip der Libe­ra­li­tät und Frei­wil­lig­keit sym­pa­thisch. Es ist eine simp­le Regel, durch die sich vie­le mora­li­sche Fra­gen im Sin­ne größt­mög­li­cher Frei­heit ent­schei­den las­sen. Es ist men­schen­freund­lich auf eine nai­ve Art, die sofort ein­leuch­tet. Aber es hat auch etwas Künst­li­ches. Es ist sim­plis­tisch. Es ist kon­train­tui­tiv. Es unter­schlägt Aspek­te wie Wür­de, Anstand und Selbstre­spekt und es ist kurz­sich­tig, denn Men­schen kön­nen auch mit selbst­be­stimm­ten Ent­schei­dun­gen Schä­den für sich und ande­re anrich­ten, die sich viel­leicht erst lang­fris­tig mani­fes­tie­ren. Das sei der Preis der Frei­heit, könn­te man ant­wor­ten; Frei­heit heißt auch, die Kon­se­quen­zen sei­ner Ent­schei­dun­gen zu tra­gen, die durch­aus nega­tiv sein kön­nen. Mei­net­we­gen, aber das ist kein Grund, so zu tun, als wäre an sol­chen Ent­schei­dun­gen nichts auszusetzen.

Wir sind sor­gen­voll bemüht, offen und tole­rant zu sein, und fürch­ten uns davor, eng­stir­nig oder alt­mo­disch zu erschei­nen oder zu dis­kri­mi­nie­ren. Bloß nicht der grim­mi­ge Seni­or sein, der vom Fort­schritt über­for­dert ist und alles Neue ver­ur­teilt. Wir wol­len leben und leben las­sen. Viel­leicht trei­ben uns die­se Besorg­nis­se zu einer Belie­big­keit in der Bewer­tung sozia­len Gesche­hens, die des­sen Kom­ple­xi­tät nicht ange­mes­sen ist und ihm nicht gut tut, und viel­leicht wis­sen wir dies ins­ge­heim auch oder ahnen es zumin­dest. Und viel­leicht ist die­ses Pro­blem in den Libe­ra­lis­mus ein­ge­baut. Es ist das ethi­sche Gegen­stück zur empi­ri­schen Annah­me, dass Men­schen als unbe­schrie­be­ne Blät­ter zur Welt kämen, die Ste­ven Pin­ker aus­führ­lich behan­delt hat. Any­thing goes, weil wir unbe­schrie­be­ne Blät­ter sind. Es fehlt sys­tem­im­ma­nent ein onto­lo­gi­scher und ethi­scher Maß­stab, um zu beur­tei­len, was ein gutes Leben für Men­schen ist. 

Dabei ver­fü­gen wir offen­kun­dig auf intui­ti­ver und emo­tio­na­ler Ebe­ne über sol­che Maß­stä­be. Sie sind nur schwer zu arti­ku­lie­ren und zu objek­ti­vie­ren. In sei­nem Buch »The Righe­tous Mind« ver­weist Jona­than Haidt auf For­schung, die zeigt, dass das Scha­dens­prin­zip von John Stuart Mill – alles, was nie­man­dem scha­det, ist okay – nicht unse­rem natür­li­chen Moral­emp­fin­den ent­spricht. Stel­len wir uns einen Mann vor, der sich ein tief­ge­kühl­tes Hühn­chen kauft, es zu Hau­se auf­taut und dann Sex damit hat. Haidt hat Men­schen sol­che Geschich­ten vor­ge­legt und sie nach ihrer mora­li­schen Bewer­tung gefragt. Die Befrag­ten hal­ten das Ren­dez­vous mit dem toten Hühn­chen für unmo­ra­lisch, haben aber Mühe, das zu begrün­den, weil die Sache nie­man­dem zu scha­den scheint. Das kon­ser­va­ti­ve Herz hat dazu eine ande­re Mei­nung als der libe­ra­le Verstand. 

Viel­leicht hat es Recht. Und viel­leicht scha­det die Akti­on durch­aus jeman­dem. Viel­leicht scha­det der Mann damit sei­ner eige­nen Inte­gri­tät und Wür­de, beschmutzt sein Selbst­bild und lädt sich Scham- und Schuld­ge­füh­le auf. Sol­che Belas­tun­gen und Beschä­di­gun­gen machen ihn dann auch nicht unbe­dingt zu einer posi­ti­ve­ren Kraft im Leben ande­rer. Er kann sich nicht zu sei­nem vol­len Poten­ti­al pro­duk­tiv in die Gemein­schaft ein­brin­gen, wenn er auf­grund sol­cher Aktio­nen das Gefühl hat, in Wahr­heit ein arm­se­li­ger Creep zu sein. 

Die klas­si­sche lin­ke Ant­wort dar­auf wäre, dass die­ses Pro­blem doch aber nur ent­ste­he, weil die Gesell­schaft so vol­ler Vor­ur­tei­le sei. Dem­nach könn­te Sex mit einem toten Hühn­chen eben­so nor­mal für uns sein wie das Händ­chen­hal­ten mit dem Part­ner, wenn wir uns nur dar­an gewöhn­ten und uns von den ein­schrän­ken­den Nor­men befrei­ten, die wir geerbt haben. 

Vie­le Annah­men über Men­schen aus dem Dunst­kreis der Gen­der Stu­dies unter­stel­len tat­säch­lich eine sol­che belie­bi­ge Form­bar­keit von Moral und Sexua­li­tät. Bei geis­tig gesun­den Per­so­nen, die sich zu die­sen Theo­rien beken­nen, mel­de ich Zwei­fel dar­an an, dass sie wirk­lich glau­ben, was sie dies­be­züg­lich zu glau­ben behaup­ten. Und wer es wirk­lich glaubt, hat nach mei­ner Ein­schät­zung den Bezug zu sei­ner intui­tiv und emo­tio­nal ver­an­ker­ten Men­schen­kennt­nis ver­lo­ren oder zer­stört, die wir von Natur aus alle zunächst ein­mal haben. Aktu­ell sind Theo­rien popu­lär, die die­sen Ver­lust, die­se Zer­stö­rung aktiv befeu­ern, indem sie Men­schen drän­gen, in wich­ti­gen Fra­gen bei jeder Gele­gen­heit ihre Intui­ti­on und evi­den­te Rea­li­tä­ten zu ver­leug­nen. Die Fähig­keit, die­se Ver­leug­nung mög­lichst weit zu trei­ben, wird sogar zum Merk­mal sozia­ler Distink­ti­on. Ich bin so gebil­det, so klug, so kri­tisch, dass ich gar nichts mehr von dem glau­be, was der gemei­ne Pöbel glaubt. Das ist die ideo­lo­gisch indu­zier­te Psy­cho­pa­thie im wei­te­ren Sinn, von der in Lind­says Modell der Pseu­do-Rea­li­tät die Rede ist. Dar­über ist in Zukunft noch eini­ges mehr zu sagen.

Im »Welt«-Artikel spre­chen also eine Fin­dom, die dort unter dem Pseud­onym Lana auf­tritt, Anfang 20 ist und 2000 Euro im Monat von ihren »Zahl­schwei­nen« erhält, und ein, wie soll man sagen, Kun­de, ein 29-jäh­ri­ger Hörakustiker.

»Vie­le Men­schen haben da Vor­ur­tei­le«, sagt Lana.

Ich sage: ein Fetisch ist ein Fetisch. Kein Mensch kann etwas dafür und solan­ge kei­ner dabei zu Scha­den kommt, ist doch alles okay.

Vor­ur­tei­le sind etwas Schlech­tes, etwas, das man nicht haben soll und das falsch ist. Ein »Fetisch« auf der ande­ren Sei­te ist anschei­nend etwas mora­lisch Geschmacks­neu­tra­les, das man ein­fach hat, so wie man eine War­ze oder grü­ne Augen hat oder Links­hän­der ist. Ist es so ein­fach oder ist es ver­däch­tig, wie bequem die­se Ein­fach­heit ist? Lässt sich alles, was an die­sem Arran­ge­ment befremd­lich anmu­tet, durch die­se rhe­to­ri­schen Ein­ord­nun­gen neutralisieren?

Woher weiß Lana eigent­lich so genau, dass nie­mand dabei zu Scha­den kommt? Ihre Ori­gin Sto­ry weckt Zwei­fel dar­an, dass ihr dies ein son­der­lich wich­ti­ges Anlie­gen ist:

Ange­fan­gen habe alles vor vier Jah­ren auf ihrem pri­va­ten Insta­gram-Account, erzählt Lana wei­ter. Mit 18 Jah­ren habe sie ein Mann ange­schrie­ben und gefragt, ob sie einen „Geld­skla­ven“ suche … Zuerst habe sie die Anfra­ge .. igno­riert …. Damals steck­te sie jedoch schon in einer Bezie­hung, in der sie ihren Freund zuneh­mend für Gefäl­lig­kei­ten wie Fahr­diens­te oder Restau­rant­be­su­che aus­nutz­te. »Ich habe – nicht zum ers­ten Mal – gespürt, dass mein Part­ner viel schwä­cher ist als ich und mir nicht die Stirn bie­ten kann. Da habe ich gemerkt, dass mir die­ses Spiel viel Spaß macht und ich das irgend­wie brau­che«, sagt sie rück­bli­ckend. Also ant­wor­te­te sie dem Frem­den schließ­lich doch und wäh­rend eines län­ge­ren Chats erhielt sie so die Ein­füh­rung in das The­ma »Fin­dom«.

War das Aus­nut­zen des schwä­che­ren Freun­des für ihn eben­falls ein »Spiel«? Es klingt nicht so, aber wir wis­sen es nicht. Aber wenn der Freund unge­fragt-unfrei­wil­lig an die­sem Aus­nutz-Spiel teil­ge­nom­men hat, gibt es ein Wort für Lanas Ver­hal­ten: Missbrauch.

Apro­pos Spiel – es ist bei vie­len Medi­en­er­zäh­lun­gen infor­ma­tiv, ein­mal die Geschlech­ter­rol­len zu tau­schen. Ein Mann merkt also im Rah­men einer Bezie­hung, dass sei­ne Freun­din »viel schwä­cher« ist als er und ihm »nicht die Stirn bie­ten kann«. Er beginnt sie aus­zu­nut­zen und, sagen wir, lässt sie für ihn auf­räu­men und put­zen und genießt das so sehr, dass er ein Hob­by dar­aus macht und meh­re­re Frau­en auf ähn­li­che Art in sei­ne Diens­te nimmt.

Wür­de die­ser Mann eine so wohl­wol­len­de Medi­en­ge­schich­te bekom­men? Fän­den wir das auch so drol­lig und schick pro­gres­siv? Könn­te er die bösen Bli­cke des Publi­kums ent­schär­fen, indem er ver­si­cher­te, dass das nun mal ein »Fetisch« die­ser Frau­en sei, nie­mand zu Scha­den kom­me und die Leu­te ein­fach nur »Vor­ur­tei­le« hätten?

Einen Hin­weis auf die Ant­wort geben die Ereig­nis­se, die 2014 die Gamer­Ga­te-Kon­tro­ver­se aus­ge­löst haben. Eron Gjo­ni hat­te einen lan­gen Text ver­öf­fent­licht, in dem er detail­liert und mit Bele­gen in Form von Chat­pro­to­kol­len dar­stell­te, wie Zoe Quinn, sei­ne Exfreun­din, ihn über eini­ge Mona­te einem Miss­brauchs­ver­hal­ten par excel­lence unter­zo­gen und fast in den Wahn­sinn getrie­ben hät­te. Dabei ging es auch um ihre Pro­mis­kui­tät, die an sich aber nicht den Miss­brauch dar­stell­te. Die­ser bestand dar­in, auf sei­ne berech­tig­ten Fra­gen und zutref­fen­den Ver­däch­ti­gun­gen mit stän­dig anwach­sen­den Lügen­ge­bäu­den und Gas­light­ing zu reagie­ren und ihn gleich­zei­tig mit fort­ge­setz­ten Lie­bes­schwü­ren und Bes­se­rungs­ge­löb­nis­sen in emo­tio­na­ler Abhän­gig­keit zu hal­ten. Das ist ein klas­si­sches Mus­ter. Gjo­ni ver­öf­fent­lich­te die Geschich­te mit der Begrün­dung, ande­re vor Quinn war­nen zu wol­len, die all­mäh­lich zu Pro­mi­nenz auf­stieg, als Hel­din und femi­nis­ti­sche Iko­ne gefei­ert wur­de, mit vie­len Män­nern ver­kehr­te und im Wider­spruch zu ihren Beteue­run­gen kei­ner­lei glaub­wür­di­ges Bemü­hen zeig­te, ihr Ver­hal­ten zu ändern, und all­ge­mein über Miss­brauchs­ver­hal­ten auf­klä­ren zu wollen.

Was dar­an den Skan­dal aus­lös­te, der zu Gamer­Ga­te wur­de, war nicht das Miss­brauchs­ver­hal­ten, son­dern waren in Gjo­nis Geschich­te ent­hal­te­ne Hin­wei­se auf mög­li­che Kor­rup­ti­on in der Gam­ing-Pres­se. Das in die­sem Zusam­men­hang Inter­es­san­te ist aber, wie kon­se­quent im Wesent­li­chen alle Medi­en das ein­deu­ti­ge und klar beleg­te Miss­brauchs­ver­hal­ten Quinns ver­schwie­gen haben, um sie wahl­wei­se als unschul­di­gen Engel oder Hel­din und ihn als rach­süch­ti­gen ver­schmäh­ten Exfreund zu prä­sen­tie­ren. Exem­pla­risch kann man hier Wiki­pe­dia neh­men, wo im Wesent­li­chen die Sicht der Medi­en abge­bil­det ist. 

The con­tro­ver­sies and events that would come to be known as Gamer­ga­te began in 2014 as a per­so­nal attack on Quinn, inci­ted by a blog post by Quinn’s for­mer boy­fri­end Eron Gjo­ni. Cal­led the »Zoe Post«, it was a leng­thy, detail­ed account of their rela­ti­onship and break­up that included copies of per­so­nal chat logs, emails, and text messages.

Wie hät­ten die Medi­en bei ver­tausch­ten Rol­len reagiert? Eine jun­ge Frau schreibt einen lan­gen Text mit Bele­gen über das Miss­brauchs­ver­hal­ten ihres Exfreunds ihr gegen­über, das sie fast in den Wahn­sinn getrie­ben hät­te, weil sie sich nicht anders zu hel­fen weiß. Hät­ten sie auch dann das gan­ze Miss­brauchs­ver­hal­ten ver­schwie­gen, um das An-die-Öffent­lich­keit-Gehen der Frau als »per­sön­li­chen Angriff« einer rach­süch­ti­gen ver­schmäh­ten Lieb­ha­be­rin auf den Mann und ihn als ver­folg­te Unschuld dar­zu­stel­len? Oder hät­ten sie ihre Ent­schei­dung als wich­tig und mutig geprie­sen und ihn als miso­gy­nes Schwein verdammt?

Wir haben in der öffent­li­chen Dis­kus­si­on ein nahe­zu per­fek­tes Vaku­um da, wo Frau­en Gewalt aus­üben und Miss­brauch bege­hen. Funk­stil­le. Kein Kom­men­tar. Wir sind nicht bereit, nicht fähig, dar­über zu spre­chen, so etwas über­haupt zur Kennt­nis zu neh­men. Wo es nicht anders geht, weil eine Frau spek­ta­ku­lär gemor­det hat oder Ähn­li­ches, fra­gen wir als Ers­tes, wie es dazu kam, dass die Gesell­schaft oder ein Mann sie zu sol­cher Ver­zweif­lung getrie­ben hat. Der Glau­be an die mora­li­sche Rein­heit und per­fek­te Unschuld der Frau­en scheint eine tra­gen­de Rol­le in unse­rem Welt­bild zu spie­len. Er ist uns weit wich­ti­ger als die Opfer, die in den meis­ten Fäl­len Kin­der sein dürf­ten. Wie stark die­ser Glau­be ist und mit wel­chem hei­li­gen Furor er ver­tei­digt wird, zeigt Gamer­Ga­te in außer­ge­wöhn­li­cher Deut­lich­keit bis heu­te. Die Mög­lich­keit, dass nicht alle weib­li­chen Akteu­re die per­so­ni­fi­zier­te Unschuld waren, ist für die Mehr­heit der Kom­men­ta­to­ren wei­ter­hin kogni­tiv und emo­tio­nal gar nicht fass­bar, und Äuße­run­gen in die­ser Rich­tung wer­den samt der Spre­cher sofort aufs Schärfs­te verurteilt. 

Das mag ein Bau­stein der kul­tu­rel­len Nische sein, in der »Fin­dom« exis­tiert. Wenn eine Frau Opfer eines Man­nes wird, sind wir empört, wenn ein Mann Opfer einer Frau wird, fin­den wir das drol­lig oder neh­men es gar nicht erst zur Kenntnis.

Was nicht heißt, dass ich die Fin­dom-Kun­den als unschul­di­ge Opfer dar­stel­len will. Mei­ne Gefüh­le ihnen gegen­über sind ambi­va­lent. Der Aus­druck »arme Schwei­ne« bil­det die­se Ambi­va­lenz ab. »Schwei­ne«, aber auch »arme«.

Lana ist zufrie­den. Sie sitzt auf der Couch ihres WG-Zim­mers und spricht in die Sel­fie-Kame­ra ihres Smart­phones. »Heu­te mel­det sich Mami mal per­sön­lich bei ihren Rat­ten. Schaut mal, was der Post­bo­te gebracht hat«, sagt sie süf­fi­sant und filmt das Paket, das geöff­net auf ihrem Schoß liegt, dar­in ein neu­es iPad. »Und wer hat’s bezahlt? – Ihr Loser«. Kurz dar­auf kom­men­tie­ren die ers­ten Nut­zer das Video: »Ver­dient!«, schreibt einer, der ande­re wünscht ihr »viel Freu­de« mit dem Gerät.

Wir erfah­ren nicht viel über die­se Män­ner. Nur einer von ihnen wird kurz inter­viewt. Er wirkt im Sky­pe-Chat mit dem Welt-Jour­na­lis­ten dem Bericht zufol­ge nor­mal und sympathisch.

Bei sei­ner Arbeit tra­ge er Ver­ant­wor­tung, mit Lana kön­ne er die »kom­plett abge­ben«, was er »wie ein Fal­len­las­sen« empfinde.

Auf sei­nem Twit­ter-Pro­fil bezeich­net Mar­kus sich als »frei­er Skla­ve«. Frei, weil er sich nicht einer Geld­her­rin exklu­siv ver­pflich­tet hat und statt­des­sen meh­re­ren »Her­rin­nen« in unre­gel­mä­ßi­gen Abstän­den dient – etwa in klei­nen Spiel­chen. Vor Kur­zem habe eine Geld­her­rin die Far­be ihrer Unter­wä­sche von ihren Fol­lo­wern erra­ten las­sen. Bei einer rich­ti­gen Ant­wort ver­sprach sie ein Foto, bei einer fal­schen ver­lang­te sie zehn Euro. »Da zah­le ich die zehn Euro gern, die Befrie­di­gung dadurch ist ver­gleich­bar mit dem Zug an einer Ziga­ret­te. Das Bild habe ich trotz­dem bekommen«.

Aus­ge­nutzt füh­le er sich nicht. »Es sei ja eine selbst­be­stimm­te, frei­wil­li­ge Ent­schei­dung von sei­ner Sei­te aus, bei der bei­de Posi­tio­nen klar defi­niert seien.«

Die Fra­ge – oder nur der Wunsch – nach Geschlechts­ver­kehr stel­le sich dabei nicht, behaup­tet B.. »Wenn ich dar­über nach­den­ke, dass es eine Opti­on wäre oder sie dazu bereit wäre, wür­de die Fan­ta­sie bre­chen. Ich muss spü­ren, dass mein Gegen­über die Geld­her­rin nicht nur spielt, son­dern sie auch ›ist‹ «. Ein selbst­be­wuss­tes, toug­hes Auf­tre­ten sei da unverzichtbar.

Es fällt Mar­kus sicht­lich schwer, die Art der Befrie­di­gung zu erklä­ren, die er durch einen sol­chen Kon­takt gewinnt. Mal bemüht er das Bild eines Spiel­au­to­ma­ten, bei dem er sich über die durch sei­ne Zah­lung aus­ge­lös­te Reak­ti­on freut, dann spricht er von einem ähn­li­chen Kick wie durch den Zug an einer Ziga­ret­te. Es dürf­te kein Zufall sein, dass bei bei­dem ein gewis­ser Sucht­fak­tor besteht. Eine wei­te­re Erklä­rung ist auch: das Aus­blei­ben von kör­per­li­cher Nähe ist Teil des Spiels bei »Fin­dom«, der »Man­gel« viel­mehr ein »Reiz«.

Es klingt wie eine kon­trol­lier­te Bezie­hungs-Simu­la­ti­on. Der Spiel­au­to­mat und die Ziga­ret­te las­sen in der Tat an Sucht den­ken. Sucht­ver­hal­ten erzeugt auf ein­fa­che und kon­zen­trier­te Wei­se den Kick, den uns sonst sinn­vol­le Lebens­ak­ti­vi­tät und ent­spre­chen­de Erfol­ge berei­ten. Dopa­min. Aber bere­chen­bar und kon­trol­liert, ohne aus der Deckung kom­men zu müs­sen, ohne etwas zu ris­kie­ren und ohne Mühe aufzuwenden.

Lana ist für Mar­kus eine Über­frau. Ihr Reiz für ihn besteht gera­de dar­in, dass sie über ihm schwebt und uner­reich­bar ist. Aber gleich­zei­tig tri­via­li­siert er sie, wenn er sie mit einem Spiel­au­to­ma­ten und einer Ziga­ret­te ver­gleicht. Er »objek­ti­fi­ziert« sie, wie die Femi­nis­tin­nen sagen wür­den. Das Anhim­meln ist nur Teil des Rollenspiels.

War­um ist es befrie­di­gend, ihr Geld zu schi­cken? Viel­leicht drückt sich dar­in das instink­ti­ve männ­li­che Bedürf­nis aus, eine tra­gen­de posi­ti­ve Kraft im Leben einer Frau zu sein und von ihr gebraucht zu wer­den. Nur wird die­ses Bedürf­nis hier auf eine redu­zier­te, beque­me Wei­se aus­ge­lebt, auf waren­för­mi­ge Wei­se, jeder­zeit künd­bar und ohne Ver­ant­wor­tung. Mar­kus B. sagt aus­drück­lich, dass es ihn reizt, in die­ser Pseu­do-Bezie­hung kei­ne Ver­ant­wor­tung zu tra­gen. Er ist stol­zer Ver­sor­ger einer Über­frau, kann die­se aber jeder­zeit abschal­ten, sei es zeit­wei­se oder auch per­ma­nent, wenn er kei­ne Lust mehr auf sie hat. Außer, sofern es sich wirk­lich um Sucht han­delt, aber das wäre immer noch etwas ande­res als eine per­sön­li­che Bin­dung. Davon abge­se­hen, dass es einen wei­te­ren Schat­ten des Zwei­fels auf die Bekun­dun­gen der Frei­wil­lig­keit und Selbst­be­stimmmt­heit würfe.

Viel­leicht ist das Gan­ze auch eine Flucht vor einer Rea­li­tät zer­stör­ter und para­do­xer Geschlech­ter­be­zie­hun­gen. Die meis­ten Frau­en fin­den Män­ner nur anzie­hend, wenn sie so etwas wie männ­li­che Stär­ke in ihnen sehen. Auch und gera­de erfolg­rei­che Frau­en suchen nach noch erfolg­rei­che­ren Män­nern. Gleich­zei­tig gilt ein Mann, der erfolg­rei­cher ist als eine Frau, auto­ma­tisch als Frau­en­un­ter­drü­cker. Man glaubt ja die Unter­drü­ckung eins zu eins an Zah­len­ver­hält­nis­sen able­sen zu kön­nen, was impli­ziert, dass die Män­ner, wo sie in der Über­zahl sind, ihre Posi­tio­nen zu Unrecht und auf Kos­ten der Frau­en erhal­ten haben. Als Per­sön­lich­keits­merk­mal gilt männ­li­che Stär­ke als bös­ar­tig, als toxisch. Das neue Ide­al ist der wei­che Mann. Nur wird der wei­che Mann eben man­gels Attrak­ti­vi­tät weder eine Frau fin­den noch sich im Leben durch­set­zen kön­nen, weil Män­ner eben­so wie Frau­en dazu Stär­ke benötigen. 

Die neu­en woken Hol­ly­wood-Pro­duk­tio­nen sind gro­tesk in der Ein­sei­tig­keit ihrer Dar­stel­lung per­fek­ter Power-Frau­en und nichts­nut­zi­ger Wasch­lap­pen-Män­ner. In der ers­ten Staf­fel von Star Trek: Picard war zu sehen, wie Picard, ein einst­mals gro­ßer Raum­schiff­ka­pi­tän, Stra­te­ge, Diplo­mat, Poli­ti­ker und Wis­sen­schaft­ler, in einer Tour von über­zeich­net »star­ken« Frau­en geschol­ten und her­un­ter­ge­macht wird, das alles in unter­wür­fi­ger Trot­te­lig­keit wil­lig ent­ge­gen­nimmt und sich demü­tig bei allen ent­schul­digt, unab­hän­gig davon, ob er wirk­lich Schuld trägt oder nicht. Die­ses Ver­hal­ten hat er mit allen ande­ren Män­nern gemein, die auf­tre­ten. Kei­ner wagt ein Wider­wort gegen eine Frau.

Wel­che Geschlech­ter­rol­len bie­tet die­se Kul­tur an, in denen Män­ner und Frau­en zuein­an­der fin­den kön­nen? Ich kann mich der Asso­zia­ti­on von Mar­kus B. auf den kas­trier­ten Picard – und die vie­len ande­ren Hel­den von ges­tern, die der glei­chen Behand­lung unter­zo­gen wur­den – nicht erweh­ren. Viel­leicht nimmt Mar­kus B. ein­fach das Mus­ter einer Mann-Frau-Bezie­hung, das die Leit­kul­tur als Ide­al vor­gibt, und setzt es auf eine Art und Wei­se um, die er in sein Leben inte­grie­ren kann, ohne unter die Räder zu kommen.

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