Blasphemie

Könn­te es sein, dass in der frü­hen Neu­zeit, als die Gesell­schafts­struk­tur sich zuse­hends ver­flüs­sig­te und Men­schen mit unter­schied­li­chen Tem­pe­ra­men­ten ein rech­tes und ein lin­kes poli­ti­sches Lager bil­de­ten, das Rech­te halb­wegs am im Rück­zug begrif­fe­nen Chris­ten­tum fest­hielt, wäh­rend sich das lin­ke davon lös­te und das so ent­ste­hen­de reli­giö­se Vaku­um füll­te, indem es sei­ne lin­ken Ideen selbst zur Reli­gi­on machte?

Das wür­de eini­ges erklären. 

Man müss­te hier zwi­schen der extre­men Rech­ten und der mode­ra­ten, also dem Kon­ser­va­tis­mus, unter­schei­den. Die extre­me Rech­te kann man viel­leicht in ähn­li­cher Wei­se als Sek­te betrach­ten wie die extre­me Lin­ke. Bei­de glau­ben, durch auto­ri­tä­re Herr­schafts­ak­te eine Art per­fek­te Gesell­schaft her­stel­len zu kön­nen, wobei sich der rech­te Ent­wurf zu sozia­len Hier­ar­chien bekennt und der lin­ke die­se ein­eb­nen will. Dem­entspre­chend braucht die Lin­ke die Zau­be­rei der Dia­lek­tik, um aus der Para­do­xie her­aus­zu­kom­men, dass durch umfas­sen­de Herr­schafts­ak­te ein Zustand der Herr­schafts­frei­heit ent­ste­hen soll. Die links­re­li­giö­se Dog­ma­tik ist intel­lek­tu­el­ler, ver­track­ter und kon­train­tui­ti­ver als die rechts­re­li­giö­se. Den­noch haben bei­de den roman­ti­schen Glau­ben an einen Gebor­gen­heit stif­ten­den gesell­schaft­li­chen Ide­al­zu­stand gemein­sam, der irgend­wie, irgend­wann ver­lo­ren gegan­gen sei und wie­der­her­ge­stellt wer­den kön­ne, wenn die Irr­we­ge kor­ri­giert wer­den, die für bei­de Sei­ten vor allem mit Libe­ra­lis­mus und Indi­vi­dua­li­sie­rung zu tun haben.

Doch zur mode­ra­ten Mit­te hin besteht hin­sicht­lich des Reli­gi­ons­cha­rak­ters der poli­ti­schen Lager eine Asym­me­trie. Die Kon­ser­va­ti­ven (und Libe­ra­len) haben nichts, was dem gesell­schafts­re­for­me­ri­schen Furor der Lin­ken ähneln wür­de. Kon­ser­va­ti­ve hal­ten Lin­ke für naiv, Lin­ke hal­ten Kon­ser­va­ti­ve für schlech­te Men­schen. Kon­ser­va­ti­ve sind mehr oder weni­ger lei­den­schafts­lo­se Ver­wal­ter des Sta­tus Quo. Lin­ke dage­gen wol­len hoch hin­aus. Sie sehen die Gesell­schaft in einem Pro­zess der suk­zes­si­ven Ver­voll­komm­nung begrif­fen, an des­sen Ende ein Ide­al­zu­stand per­fek­ter Gleich­heit per­fek­tio­nier­ter Indi­vi­du­en steht. Vie­le rhe­to­ri­sche Figu­ren wie »wir haben schließ­lich das Jahr sound­so«, »gest­ri­ge Ideen« oder »auf der rich­ti­gen Sei­te der Geschich­te« offen­ba­ren die­se Prä­mis­se. Von ihr zeugt eben­falls die Tat­sa­che, dass Lin­ke anneh­men, die heu­ti­gen Men­schen sei­en alle zutiefst ras­sis­tisch, sexis­tisch und jedes ande­re ‑istisch, weil sie so sozia­li­siert sei­en, und man kön­ne uns bezie­hungs­wei­se unse­ren Nach­fah­ren all die­se ‑Ismen aus­trei­ben. Sie inves­tie­ren ja beträcht­li­che Ener­gie in die­se Teu­fels­aus­trei­bung; sie müs­sen sie also für mög­lich hal­ten. Das heißt, der gute Mensch, also der Mensch, der so ist, wie Men­schen eigent­lich sein soll­ten, wur­de noch gar nicht erfun­den und muss noch geschaf­fen wer­den, und dar­an arbei­ten sie. 

Die moralische Asymmetrie

Sie mögen Men­schen nicht beson­ders – wir alle sind ja voll von die­sen Ismen, die sie has­sen -, aber sie sehen sich den­noch als die größ­ten Men­schen­freun­de. Die­se Para­do­xie erklärt sich zum größ­ten Teil dadurch, dass sie vor allem Freun­de ihrer Ide­al­men­schen sind, also der wer­den­den per­fek­tio­nier­ten Men­schen, die es noch nicht gibt, und nicht so sehr Freun­de der heu­te leib­haf­tig Leben­den. Ein leib­haf­tig leben­der Real­men­sch braucht nicht all­zu weit von ihren Mei­nun­gen abzu­wei­chen, um ihre tie­fe Ver­ach­tung auf sich zu zie­hen, und die aller­meis­ten Men­schen welt­weit sind kei­ne Anhän­ger der Ideen der west­li­chen Lin­ken. Sie sind aus Sicht der west­li­chen Lin­ken somit schlech­te Men­schen. Dies kön­nen Letz­te­re nur des­halb mit ihrer roman­ti­schen Frem­den­an­be­tung unter einen Hut brin­gen, weil sie mit die­sen Frem­den kaum etwas zu tun haben und sie daher als Pro­jek­ti­ons­flä­che für alles Mög­li­che benut­zen kön­nen. Die Funk­ti­on der Frem­den, Alli­ier­te gegen das ver­hass­te sozia­le Nah­feld der unvoll­kom­me­nen Real­men­schen zu sein, mit denen man nicht zurecht­kommt, über­wiegt den Aspekt, dass jene oft min­des­tens so kon­ser­va­tiv sind wie die­se, weil man ihn schlicht aus­blen­den kann. 

Der Öko­nom und Autor Tho­mas Sowell hat ein­mal beob­ach­tet, dass in der Geschich­te poli­ti­scher Ideen vor allem Lin­ke dadurch auf­fie­len, ihre Geg­ner eher zu beschimp­fen und abzu­wer­ten, als auf ihre Argu­men­te zu ant­wor­ten. Auch das ist ein Aspekt der besag­ten Asym­me­trie. Da die Lin­ken ihre Poli­tik weit mehr als die Kon­ser­va­ti­ven reli­gi­ös auf­la­den, neh­men sie weit mehr ihre Geg­ner als Ket­zer und somit mora­lisch schlech­te, bös­ar­ti­ge, min­der­wer­ti­ge Men­schen wahr. Aus ihrer Sicht hat man als anstän­di­ge, freund­li­che und mit­füh­len­de Per­son die vol­le Berech­ti­gung, wenn nicht die Pflicht, Nicht­lin­ke wie Dreck zu behan­deln, weil die sich ja selbst ent­schei­den, sich wie Dreck zu ver­hal­ten und die hei­li­ge Mis­si­on zu beschmut­zen, zum Wer­den des per­fek­tio­nier­ten Men­schen am Ende der Geschich­te bei­zu­tra­gen. Sich dem Pro­zess der Per­fek­tio­nie­rung ent­ge­gen­zu­stel­len heißt, sich ihrem Gott entgegenzustellen.

Zwei Einschübe

Es gibt durch­aus Raum und Poten­zi­al für eine Lin­ke, die nicht in die­ser Wei­se reli­gi­ös ist und sich tat­säch­lich um die prag­ma­ti­sche Lösung von Pro­ble­men in der Gegen­wart bemüht. Wir kön­nen sozia­le Ungleich­heit nicht abschaf­fen, aber ich sehe nicht, war­um wir sie nicht redu­zie­ren und ihre schäd­lichs­ten Aus­wir­kun­gen nicht abmil­dern kön­nen soll­ten. In der Wirtschafts‑, Steuer‑, Arbeits­markt- und Sozi­al­po­li­tik bestehen durch­aus Hand­lungs­spiel­räu­me, und das Sozia­le, der Blick auf die Schwa­chen, muss bei die­sen Dis­kus­sio­nen eine Rol­le spie­len. Es ist nur aktu­ell so, dass rea­lis­ti­sche, prag­ma­ti­sche Lin­ke, die ihr Wir­ken nicht als hei­li­ge Mis­si­on und ihre poli­ti­schen Geg­ner nicht auto­ma­tisch als böse anse­hen, im öffent­li­chen Leben kaum auf­tau­chen. Viel­leicht liegt es dar­an, dass die Reli­giö­sen mit ihrem Furor und ihrer stän­di­gen pseu­do­mo­ra­li­schen Nöti­gung und Erpres­sung – »gib mir Macht oder ich nen­ne dich Miss­brau­cher der Schwa­chen« – die Rea­lis­ten leicht über­tö­nen und unter­but­tern. Außer­dem fällt auf, dass häu­fig zwei See­len in der Brust eines Lin­ken schla­gen. Im Bun­des­tag kann man regel­mä­ßig bezeu­gen, dass bei­spiels­wei­se Grü­ne – zumin­dest man­che – durch­aus in der Lage sind, ratio­nal und rea­li­täts­nah zu argu­men­tie­ren. Doch bei ande­ren The­men wie­der wird es fan­tas­tisch, unlo­gisch und fak­ten­frei und man ist bereit, rie­si­ge Glau­bens­sprün­ge und Wider­sprü­che zu akzep­tie­ren. Letz­te­res sind die The­men, die hei­li­ge Wer­te berühren.

Haben die Lin­ken denn nicht ein­fach Recht damit, dass es böse ist, sich dem Fort­schritt in Rich­tung eines gesell­schaft­li­chen Zustands in den Weg zu stel­len, der ein­deu­tig bes­ser wäre? Die Ant­wort wäre ja, wenn es so ein­deu­tig wäre, dass die lin­ken Stra­te­gien zu einem bes­se­ren Zustand füh­ren. Aber das ist eine Chi­mä­re. Dar­in besteht das fun­da­men­ta­le Miss­ver­ständ­nis. Lin­ke glau­ben, Kon­ser­va­ti­ve und Rech­te wür­den sich einer Ver­bes­se­rung des Loses der Men­schen in den Weg stel­len, weil sie irgend­wie dumm, bös­ar­tig oder vol­ler Hass sei­en. Sicher gibt es Dum­me, Bös­ar­ti­ge und Has­ser, aber die gibt es auf bei­den Sei­ten zur Genü­ge. Das hat nichts mit der Spal­tung zwi­schen Rechts und Links zu tun. Nein, auch Kon­ser­va­ti­ve wol­len das Los der Men­schen ver­bes­sern, aber sie haben ande­re Vor­stel­lun­gen davon, wie das zu schaf­fen wäre. Sie haben eine ande­re Theo­rie – ob aus­ar­ti­ku­liert oder nicht – des Men­schen und der Gesell­schaft. Kurz gefasst: Die reli­giö­se Lin­ke geht von der Theo­rie des unbe­schrie­be­nen Blat­tes aus, nach der Men­schen belie­big pro­gram­mier­bar sind und wir ein­fach dar­an arbei­ten müs­sen, die per­fek­te Pro­gram­mie­rung zu fin­den und die schlech­ten Code­be­stand­tei­le (wie die ‑Ismen) aus­zu­lö­schen. Die Theo­rie des unbe­schrie­be­nen Blat­tes ist aber falsch, und die brei­te Blut­spur des Kom­mu­nis­mus quer durch die letz­ten 100 Jah­re zeigt, wie falsch.

Wenn also gewis­se uner­freu­li­che und poten­zi­ell gefähr­li­che Aspek­te des Men­schen nicht durch Umpro­gram­mie­rung aus­rott­bar sind, so dass Ver­su­che der Aus­rot­tung fehl­schla­gen und gele­gent­lich zur Kata­stro­phe füh­ren, dann muss man ver­nünf­ti­ger­wei­se über­le­gen, wie man sie bezäh­men, mäßi­gen und in mög­lichst unschäd­li­cher Form in die Lebens­wei­se einer Gesell­schaft inte­grie­ren kann. Und damit hät­ten wir den Kern des Unter­schieds zwi­schen einer pro­gres­si­ven und einer kon­ser­va­ti­ven Her­an­ge­hens­wei­se an die Ver­bes­se­rung des Loses der Men­schen beschrie­ben. Theo­re­tisch wäre es sogar mög­lich, über die­sen Unter­schied ratio­nal und evi­denz­ba­siert zu dis­ku­tie­ren. In der Pra­xis kommt es nur sel­ten dazu, weil Lin­ke nicht bereit sind, abwei­chen­de Mei­nun­gen dies­be­züg­lich über­haupt zu dul­den, und weil Kon­ser­va­ti­ve ihre theo­re­ti­schen Stand­punk­te sel­ten aus­ar­ti­ku­lie­ren, was, zuge­ge­ben, in die­sem Fall auch nicht ganz ein­fach ist. Dies ist ein ent­schei­den­der stra­te­gi­scher Vor­teil der fal­schen Blank-Sla­te-Theo­rie: Sie ist sim­pel und man kann sie auf alle mensch­lich-gesell­schaft­li­chen Pro­ble­me anwen­den, ohne irgend­et­was Nähe­res über die­se zu wissen.

Blasphemie

Ich habe mir neu­lich mal wie­der den klas­si­schen Hor­ror­film »Der Exor­zist« ange­schaut. An einer Stel­le ist dar­in eine geschän­de­te Mari­en­sta­tue zu sehen – sie­he oben. Eine schö­ne, wür­de­vol­le, lebens­gro­ße wei­ße Sta­tue der hei­li­gen Maria, der jemand gro­tesk her­vor­ra­gen­de Brüs­te mit roten Spit­zen und einen gro­ßen, spit­zen Phal­lus auf­ge­setzt hat, der wie ein nach unten gedreh­tes Horn aus­sieht. Im Schritt und an den Hän­den ist die Sta­tue blut­be­fleckt. Etwa so, wie die­ser Anblick auf einen tief gläu­bi­gen Katho­li­ken wir­ken muss, so wirkt es auf Lin­ke, wenn man ihre hei­li­gen Wer­te miss­ach­tet, die um das Pro­jekt der Men­schen- und Gesell­schafts­per­fek­tio­nie­rung im Sinn lin­ker Idea­le kreisen. 

Beim Anblick der geschän­de­ten Sta­tue erschie­ne es in der Tat absurd, zu for­dern, den Täter als gleich­be­rech­tig­ten Teil­neh­mer am gesell­schaft­li­chen Dis­kurs zu akzep­tie­ren oder das, was er mit der Sta­tue ange­stellt hat, als legi­ti­me Mei­nungs­äu­ße­rung ein­zu­stu­fen. Der Anblick ist gro­tesk, erschre­ckend, absto­ßend, vul­gär. Eine gewoll­te Ver­un­stal­tung des Schö­nen und Erha­be­nen mit kri­mi­nel­ler Ener­gie und schmut­zi­ger Fan­ta­sie. Es schreit einem nur so ins Gesicht, dass die Tat nie­der­träch­tig und in böser Absicht gesche­hen ist. Hat der Täter nun ein Recht, sich dar­über zu wun­dern oder gar mora­lisch zu empö­ren, dass Katho­li­ken wütend reagie­ren und ihn mit­un­ter auch beschimp­fen? Hat er ein Recht, dies als Ein­schrän­kung sei­ner Mei­nungs­frei­heit zu bekla­gen? Nein, natür­lich nicht. Etwa so wir­ken nicht­lin­ke und lin­ken­kri­ti­sche Mei­nun­gen und die For­de­rung nach Mei­nungs­frei­heit für sie auf Linke. 

Wenn sie »Nazi«, »rechts­extrem« etc. sagen, ist das oft weni­ger eine sach­ori­en­tier­te Beschrei­bung von Per­so­nen und Hal­tun­gen als ein Aus­druck der reflex­haf­ten Abscheu über Blas­phe­mie, wie sie ein Gläu­bi­ger beim Anblick der geschän­de­ten Mari­en­sta­tue emp­fin­den mag. Es bedeu­tet meist nicht, dass sich der so Beschimpf­te einen Füh­rer­staat wünscht oder Aus­län­der hasst, son­dern es zeigt an, in wel­chem extre­men Aus­maß der Spre­cher es als anstö­ßig emp­fin­det, wie der ande­re sei­ne hei­li­gen Wer­te ver­letzt. Des­halb wird Donald Trump auch nach sei­ner vier­jäh­ri­gen Amts­zeit, in der er nichts Hit­ler­ar­ti­ges getan oder ver­sucht hat, von vie­len immer noch für Hit­ler gehal­ten. Das ist kei­ne sach­li­che Beschrei­bung objek­tiv gege­be­ner Eigen­schaf­ten, son­dern Aus­druck einer affek­ti­ven Reak­ti­on der Abscheu.

Und eine ähn­li­che Reak­ti­on ruft nun die Twit­ter-Über­nah­me durch Elon Musk her­vor. In säku­la­ren Wor­ten kann man es so sagen: Musk hat Twit­ter gekauft, um ein gefähr­li­ches Mei­nungs­kar­tell aus Regie­rung, Alt­me­di­en und Social Media auf­zu­bre­chen, und in den seit­her ver­gan­ge­nen Wochen schreit nun eben­die­ses Mei­nungs­kar­tell wie am Spieß. Logisch. All die Unken­ru­fe der Empör­ten, Twit­ter lie­ge im Ster­ben, sind nicht zuletzt Wunsch­den­ken: Sie wür­den Twit­ter viel lie­ber ster­ben sehen, als die Kon­trol­le über die Platt­form zu ver­lie­ren. Aber die Betei­lig­ten sehen sich nicht als Mei­nungs­kar­tell; sie sehen sich als Ange­hö­ri­ge des rich­ti­gen Glau­bens, der die Wahr­heit und das Gute auf sei­ner Sei­te hat. Dar­an besteht für sie nicht der gerings­te Zwei­fel. Und dass sie sich alle einig waren und in der Medi­en- und Mei­nungs­land­schaft eini­ger­ma­ßen die Luft­ho­heit hat­ten, bedeu­te­te, dass die Gesell­schaft auf dem rich­ti­gen Weg war, also eine gott­ge­fäl­li­ge war oder wenigs­tens all­mäh­lich dazu wur­de. Und jetzt kommt Musk und schän­det ihre Kathe­dra­le, die von ihnen domi­nier­te Sphä­re der öffent­li­chen Mei­nung. Dazu pro­vo­ziert er noch mit Tweets wie »My pro­no­uns are prosecute/Fauci«, eine dop­pel­te Blas­phe­mie gegen zwei wich­ti­ge Sakra­men­te, die Gen­der­iden­ti­täts­theo­rie und das Coro­na­re­gime sowie die (selek­ti­ve) Exper­ten­gläu­big­keit hin­ter bei­den. Jeder Tweet die­ser Art ist eine geschän­de­te Mari­en­sta­tue. Natür­lich ist das böse, und natür­lich müs­sen Musks Unter­stüt­zer dumm oder böse sein, was sonst?

Die Lüge wird Wahrheit

Kürz­lich ging ein gefälsch­ter Screen­shot her­um, auf dem ein Fake-Musk macker­haft her­um­protzt, dass er Jour­na­lis­ten, die ihm nicht pas­sen, ja nur sper­re und nicht erschie­ße, wie es in man­chen Län­dern geschehe:

Gefälschter Tweet von Musk: 'You know, in some parts of the world, journalists get murdered for crossing the wrong people. Banning the reporters I don't like from my own platform feels like a pretty innocuous alternative to me'

Das spiel­te dar­auf an, dass eine Hand­voll lin­ker US-Journ­ak­ti­vis­ten für nicht ein­mal 24 Stun­den gesperrt wur­den, wor­auf­hin Medi­en, Bun­des­re­gie­rung und EU kurz davor waren, einen Nukle­ar­schlag anzu­dro­hen, nach­dem die vor­an­ge­gan­ge­ne jah­re­lan­ge Pra­xis der Gän­ge­lung und suk­zes­si­ven Sper­rung Kon­ser­va­ti­ver ihnen nie einen Piep ent­lockt hat­te. Die Fäl­schung erfreu­te sich gro­ßer Beliebt­heit unter Musk-Geg­nern und wur­de unter ande­rem von pro­mi­nen­ten Jour­na­lis­ten und einem Volks­ver­pet­zer, vom Deut­schen Jour­na­lis­ten-Ver­band, vom Chef der grü­nen Böll Stif­tung Jan-Phil­ipp Albrecht und vom spät wie­der­ge­bo­re­nen Links­ak­ti­vis­ten und »Twit­ter­gott der CDU« (taz) Ruprecht Polenz ver­brei­tet. Sie spie­gelt per­fekt das reli­gi­ös auf­ge­la­de­ne Wahn­bild wider, das sich inner­halb der Kathe­dra­le von Musk geformt hat. Von außer­halb die­ses Wahn­bil­des indes ist sie in kei­ner Wei­se über­zeu­gend. Der Urhe­ber scheint nicht ein­mal ver­sucht zu haben, Musks Schreib­stil zu imi­tie­ren, der knapp und öko­no­misch ist, wäh­rend die Fäl­schung selbst­ge­fäl­lig, geschwät­zig und prah­le­risch daherkommt. 

Auch inhalt­lich passt sie in kei­ner Wei­se zu den Äuße­run­gen Musks, was sei­ne Plä­ne für Twit­ter betrifft. Er hat immer das Ziel bekun­det, dar­aus eine offe­ne, fai­re Platt­form zu machen, die pro­fi­ta­bel ist und einen pro­duk­ti­ven öffent­li­chen Dis­kurs unter­stützt. Dazu hat er in der kur­zen Zeit seit Über­nah­me bereits mit Bots auf­ge­räumt, gegen Kin­der­por­no­gra­fie durch­ge­grif­fen und das neue Veri­fi­zie­rungs­pro­gramm auf­ge­legt, das zivi­le Teil­neh­mer gegen­über Trol­len pri­vi­le­gie­ren soll. Dar­über hin­aus hat er vie­le gute Ideen für die Wei­ter­ent­wick­lung der Platt­form kom­mu­ni­ziert, etwa Hos­ting von Vide­os und Tex­ten mit Mone­ta­ri­sie­rung, algo­rith­mi­sche Ver­bes­se­run­gen zur Unter­stüt­zung zivi­len Ver­hal­tens sowie die genia­le Funk­ti­on »Com­mu­ni­ty Notes«, die eine Art von demo­kra­ti­sier­ten Fak­ten­checks ermög­licht. Das Wahn­bild von Musk als Räu­ber­ba­ron, der nach Lau­ne über ein ver­fal­len­des, in eine Räu­ber­höh­le ver­wan­del­tes Twit­ter herr­schen wol­le, ist eine Fan­ta­sie, die sich die Kathe­dra­le früh bil­de­te und die gan­ze Zeit über auf­recht erhielt, indem ihre Medi­en und Mei­nungs­füh­rer all die­se posi­ti­ven Signa­le ver­schwie­gen und sich auf die Dra­ma­ti­sie­rung blas­phe­mi­scher Memes und Äuße­run­gen kon­zen­trier­ten, die Musk twitterte. 

Die kon­sis­tent wahn­haf­te Beglei­tung der Über­nah­me durch prak­tisch alle Leit­me­di­en, die eher links posi­tio­niert sind, zeigt umso ein­drück­li­cher, wie wich­tig es ist, das Mei­nungs­kar­tell auf­zu­bre­chen. Man muss nur zwei und zwei zusam­men­zäh­len, um sich aus­zu­ma­len, wel­che Schä­den ein der­art wahn­haf­tes Estab­lish­ment mit­tel­fris­tig anrich­ten muss, und etwa in Form der Ener­gie­kri­se und des »Transkinder«-Trends sehen wir bereits dra­ma­ti­sche Fol­gen davon. 

Bei Musk und Twit­ter geht es um etwas Ent­schei­den­des. Twit­ter ist die wich­tigs­te Social-Media-Platt­form für den öffent­li­chen Mei­nungs­streit. Die Kathe­dra­le ist nahe dran, die öffent­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on soweit im Griff zu haben, dass sie sich selbst glau­ben machen kann, ihr Ver­ständ­nis der Din­ge sei voll­stän­dig und aus­rei­chend, um Poli­tik zu machen und for­mend auf Mensch und Gesell­schaft ein­zu­wir­ken. Dies ist ver­hee­rend, denn es ist weder voll­stän­dig noch aus­rei­chend, und es ist in wesent­li­chen Tei­len falsch. Dies ist bereits jetzt sehr schwer zu kor­ri­gie­ren, weil jeder Wider­spruch gegen die­sen Deu­tungs­rah­men ten­den­zi­ell als Blas­phe­mie nie­der­ge­brüllt wird. Es ist hier­bei offen­sicht­lich ent­schei­dend, ob die gro­ßen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­for­men die­se Abschot­tung der Glau­bens­ge­mein­schaft unter­stüt­zen oder ihr ent­ge­gen­wir­ken. Letz­te­res hat sich Musk vor­ge­nom­men, und dafür ver­dient er jede Unterstützung.

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3 Kommentare

  1. Ein her­vor­ra­gen­der Text, vie­len Dank dafür. Ich habe mir über die­se reli­giö­se Auf­la­dung des poli­ti­sche Dis­kur­ses auch schon vie­le Gedan­ken gemacht, Sie brin­gen es in allen Facet­ten auf den Punkt.

    Zu Musks Sper­rung der Journ­lis­ten ist mir direkt der Aus­druck »Thurs­day Night Mas­sacre« ein­ge­fal­len, mit dem die Medi­en (u.a. The Inter­cept) das Event doch tat­säch­lich beti­tel­ten. Dar­an sieht man ganz klar, wie der Dis­kurs ein­fach kom­plett aus dem Ruder gelau­fen ist. Jemand mit oppo­si­tio­nel­ler Mei­nung wird zum Nazi, ein Trans-Kri­ti­ker wird zum Men­schen­feind, eine ein­tä­gi­ge Twit­ter-Sper­re wird zum Mas­sa­ker. Kann man sich nicht ausdenken.

    Fro­he Weih­nach­ten in jedem Fall!

    1. Lie­be Ms. M, 

      ich woll­te eigent­lich frü­her ant­wor­ten, aber in den Fei­er­ta­gen war ich mit dem Fami­li­en­be­such beschäf­tigt, dann eine Wei­le krank … na ja, wie das so ist. Jeden­falls vie­len Dank für den Kom­men­tar und Zuspruch! Ja, »Thurs­day Night Mas­sacre« passt her­vor­ra­gend ins Bild. War wahr­schein­lich selbst für die auf­ge­heiz­te Stim­mung zu über­dreht, aber trotz­dem, net­ter Ver­such, wie man sagt, die­se For­mel dafür zu etablieren.

      Ich habe dei­nen Arti­kel über die Trans-Pro­ble­ma­tik gele­sen und fin­de ihn sehr gut (ich hof­fe, das Du ist okay). Mit mei­nem eige­nen bin ich unzu­frie­den und wür­de ger­ne noch einen bes­se­ren schrei­ben, aber ich fin­de das The­ma wahn­sin­nig schwie­rig, weil das ein sol­cher mensch­li­cher Abgrund ist. Ich sehe es ähn­lich wie du als Sym­ptom einer noch tie­fe­ren Ver­ir­rung; es geht da nicht nur um Geschlecht, son­dern auch um eine Ver­wir­rung über und einen Krieg gegen das Mensch­sein und unse­re Posi­ti­on im Kos­mos über­haupt. Ich weiß nicht, wie viel du von mir gele­sen hast, aber die­se grund­sätz­li­che Sinn- und Iden­ti­täts­kri­se unse­rer Gesell­schaft klingt bei mir auch immer wie­der an. Inter­es­sant wäre in dem Zusam­men­hang viel­leicht Die Poli­tik der Nega­ti­on. »Trans« ist ein geeig­ne­tes Bei­spiel dafür. Nega­ti­on von Geschlecht in der Hoff­nung, dadurch die Geschlecht­lich­keit zu befrei­en. Weil man sich aber nicht von gesetz­ten Rea­li­tä­ten befrei­en kann, kom­men die negier­ten, geleug­ne­ten Geschlech­ter­un­ter­schie­de als durch Ste­reo­ty­pe defi­nier­te Gen­der­iden­ti­tät zurück ins Bild.

      Ich freue mich, dein Sub­stack jetzt zu ken­nen, und den­ke, wir hören von­ein­an­der. Bis dahin ein fro­hes neu­es Jahr!

      1. Lie­ber Sebastian,

        ich fin­de des The­ma Trans­gen­der auch extrem schwie­rig, beson­ders wenn es um Kin­der geht oder den aktu­el­len Trend der »Selbst­iden­fi­ka­ti­on«, der de fac­to eine ech­te Gefahr ins­be­son­de­re für Frau­en dar­stellt (Stich­wort: Toi­let­ten, Duschen, Umklei­den, Gefäng­nis­se, Kran­ken­pfle­ge, Sta­tis­ti­ken, usw. – mehr dazu hier: https://twoplustwo.substack.com/p/ich-identifiziere-mich-also-bin-ich). Des­we­gen berührt mich das The­ma auch so, denn die Gehirn­akro­ba­tik, derer man fähig sein muss, um die­sen Trend zu ver­ste­hen, ist ein­fach enorm: Einer­seits fin­det hier eine für mich extrem schwer nach­voll­zieh­ba­re Leug­nung der Rea­li­tät statt (à la »Trans women are women«), ande­rer­seits ist da der gera­de­zu reli­giö­se Akti­vis­mus, der sich dann in enor­mem Hass auf sämt­li­che Kri­ti­ker (und ganz beson­ders Detran­si­tio­ner!) ent­lädt. Wie du sagst: Kritik/Hinterfragen der Ideo­lo­gie (aka Reli­gi­on) ent­spricht qua­si der Blasphemie.

        Dein Text »Die Poli­tik der Nega­ti­on« ist rich­tig gut, Cha­peau! Er ver­eint auf beein­dru­cken­de Wei­se diver­se Aspek­te – Anti­ras­sis­mus, Trans­gen­de­rism, Zweck­ent­frem­dung der Spra­che – unter dem Hege­lia­ni­schen Schirm. An die Idee, dass die vehe­men­te Nega­ti­on genau dazu führt, dass das Negier­te dop­pelt und drei­fach zurück­kommt, hat­te ich bis­lang noch nicht gedacht. Das macht für mich aber auf jeden Fall Sinn. Für mich ist der Kern des Gan­zen defi­ni­tiv die­ser: »Das posi­ti­ve Ziel wird nicht arti­ku­liert.« Das ist genau der Dekon­struk­ti­vis­mus, dem wir die­ses gan­ze Dilem­ma zu ver­dan­ken haben. Alles nie­der­mä­hen, aber nicht Neu­es schaf­fen kön­nen, kei­ne Lösung vor­brin­gen können.

        Freue mich auf wei­te­ren Aus­tausch und neue Tex­te! In die­sem Sin­ne: Fro­hes neu­es Jahr!

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