Offenheit versus Gewissenhaftigkeit: Der psychologische Unterschied zwischen Linken und Rechten

Man erzählt nie­man­dem etwas Neu­es, wenn man sagt, dass die Span­nun­gen zwi­schen dem lin­ken und dem rech­ten Flü­gel in Poli­tik und Bevöl­ke­rung in den letz­ten Jah­ren gefähr­lich ange­stie­gen sind. In einem groß­ar­ti­gen impro­vi­sier­ten Vor­trag über die Mei­nungs­frei­heit warn­te Hamed Abdel-Samad schon im Herbst 2015 davor, unse­ren »geis­ti­gen Bür­ger­krieg« in einen tat­säch­li­chen Bür­ger­krieg eska­lie­ren zu lassen.

Wie vie­le ande­re sieht er in der Mei­nungs­frei­heit das geeig­ne­te Mit­tel, um die­se Eska­la­ti­on zu ver­hin­dern. Durch sie kön­nen Men­schen ihre Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten mit Wor­ten statt Fäus­ten aus­tra­gen. Durch sie fin­den sie Kom­pro­mis­se, in denen sich jeder Betei­lig­te ver­tre­ten füh­len kann. Dies ermög­licht es allen, eine gewis­se Loya­li­tät dem gro­ßen Gan­zen gegen­über zu bewah­ren, statt sich von der Mehr­heit oder den Mäch­ti­gen tyran­ni­siert zu fühlen.

Die­ser Arti­kel soll zu einem kla­re­ren Ver­ständ­nis des­sen bei­tra­gen, was Rech­te und Lin­ke all­ge­mein auf psy­cho­lo­gi­scher Ebe­ne unter­schei­det. Die­ses Ver­ständ­nis hilft, die kom­ple­men­tä­re Berech­ti­gung bei­der zu sehen und sich von den wech­sel­sei­ti­gen Dämo­ni­sie­run­gen zu lösen, die Feind­schaft und Irra­tio­na­li­tät eska­lie­ren las­sen und damit eine Dis­kus­si­on unmög­lich machen.

Zur Begriffsverwendung: »rechts« versus »konservativ«

Man kann einem Arti­kel wie die­sem viel von sei­ner Anstö­ßig­keit neh­men, indem man eine Gren­ze zwi­schen »kon­ser­va­tiv« und »rechts« zieht und sagt, Ers­te­res sei legi­tim und Letz­te­res nicht. Doch die­se poli­tisch kor­rek­te Lösung wider­strebt mir aus fol­gen­den Gründen:

  • Sie ist unlo­gisch. Kon­ser­va­tiv ist rechts von der Mit­te und eine Teil­men­ge von rechts. Logisch kann daher nicht kon­ser­va­tiv okay und rechts nicht okay sein.
  • Mir fehlt ein kon­kre­tes Unterscheidungskriterium.
  • Es gibt auf der Lin­ken kei­ne Grenz­zie­hung die­ser Art. Links soll grund­sätz­lich in Ord­nung und Rechts grund­sätz­lich nicht in Ord­nung sein. In Anbe­tracht der Tyran­nei­en, Bar­ba­rei­en und Mas­sen­mor­de auch lin­ker Bewe­gun­gen im 20. Jahr­hun­dert hal­te ich die­ses Wer­tungs­sche­ma für nicht gerecht­fer­tigt und im Hin­blick auf die Poten­tia­li­tä­ten der Zukunft für gefährlich.

Auf der ande­ren Sei­te kann man aber auch nicht a prio­ri aus­schlie­ßen, dass die meist intui­tiv getrof­fe­ne Unter­schei­dung zwi­schen »kon­ser­va­tiv« und »rechts« auf einem rea­len, objek­tiv gege­be­nen Unter­schied beruht.

Viel­leicht fin­det man die­sen Unter­schied in der For­schung der Psy­cho­lo­gin Karen Sten­ner zur Psy­cho­lo­gie des Auto­ri­ta­ris­mus. Sie kommt auf Basis gän­gi­ger psy­cho­lo­gi­scher Fra­ge­bo­gen-Metho­dik zu dem Schluss, dass es drei Arten von Kon­ser­va­ti­ven gibt. Die­se haben ihr zufol­ge klar unter­scheid­ba­re Prä­fe­ren­zen und Moti­va­tio­nen und wür­den zu unrecht zusam­men in einen Topf geworfen:

  1. Lais­sez-fai­re-Kon­ser­va­ti­ve zeich­nen sich vor allem durch eine hohe Wert­schät­zung für indi­vi­du­el­le Frei­heit und Abnei­gung gegen über­bor­den­de staat­li­che Ein­grif­fe in die Gesell­schaft aus.
  2. Sta­tus-Quo-Kon­ser­va­ti­ve zeich­nen sich vor allem durch eine Abnei­gung gegen schnel­le Ver­än­de­run­gen aus.
  3. Auto­ri­tä­re zeich­nen sich vor allem durch eine Abnei­gung gegen sozia­le Hete­ro­ge­ni­tät und eine ent­spre­chen­de Into­le­ranz gegen Norm­ab­wei­chung aus.

Womög­lich sind Sten­ners Auto­ri­tä­re das, was man umgangs­sprach­lich als »rechts« bezeich­net, wenn man »rechts« von »kon­ser­va­tiv« unterscheidet.

Je nach poli­ti­scher Situa­ti­on kön­nen die drei Grup­pen an einem Strang zie­hen oder mit­ein­an­der in Kon­flikt gera­ten. Eine rapi­de reak­tio­nä­re Wen­de mag Auto­ri­tä­ren gefal­len, nicht aber Sta­tus-Quo-Kon­ser­va­ti­ven, die sich vor schnel­len Ver­än­de­run­gen fürch­ten. Sta­tus-Quo-Kon­ser­va­ti­ve kön­nen sich an der Sei­te von Lin­ken wie­der­fin­den, wenn der Sta­tus Quo lang­sam nach links gedrif­tet ist und Auto­ri­tä­re ihn angrei­fen. Dies könn­te der Effekt sein, der ihnen von Sei­ten der Neu­en Rech­ten und Alt-Right das Schimpf­wort »Cuck« ein­trägt.

Die Abwehr­re­ak­ti­on der Auto­ri­tä­ren gegen als zu viel emp­fun­de­ne Hete­ro­ge­ni­tät mag indes­sen auch nicht immer etwas Schlech­tes sein, da sie sich gegen des­in­te­gra­ti­ve Ten­den­zen in der Gesell­schaft rich­tet. Ohne eine gewis­se Nor­miert­heit gibt es kei­ne Gesell­schaft und kei­nen Frieden.

Wie dem aber auch sei, es bleibt der Umstand, dass »kon­ser­va­tiv« rechts der Mit­te ist, wenn man sich die Ver­tei­lung poli­ti­scher Ein­stel­lun­gen als Kon­ti­nu­um von einem rech­ten bis zu einem lin­ken Pol vor­stellt. »Rechts« wäre dem­nach ein Wort, das in zwei ver­schie­de­nen Bedeu­tun­gen ver­wen­det wird:

  1. Für auto­ri­tä­re Ein­stel­lun­gen in Abgren­zung vom Konservativen
  2. Für das gan­ze poli­ti­sche Spek­trum rechts der Mitte

Die Annah­me einer dop­pel­ten Ver­wen­dung wür­de den genann­ten Wider­spruch auf­lö­sen, wäre aber reich­lich unpraktisch.

Ich ver­wen­de im Fol­gen­den »rechts« im Sin­ne der zwei­ten Bedeu­tung als Sam­mel­be­griff für das gan­ze poli­ti­sche Spek­trum rechts der Mit­te. Wenn ich sage, dass die­ses rech­te Spek­trum eine Daseins­be­rech­ti­gung hat, recht­fer­ti­ge ich damit eben­so­we­nig Hass oder Gewalt, wie ich Hass oder Gewalt recht­fer­ti­ge, wenn ich sage, dass das lin­ke Spek­trum eine Daseins­be­rech­ti­gung hat.

Öl ins Feuer

Nach einer heu­te weit ver­brei­te­ten Auf­fas­sung bedeu­tet gesell­schaft­li­cher Fort­schritt das Aus­ster­ben der Rech­ten – und dass hier nicht klar ist, ob das nur auf Rechts­extre­me oder auch auf Kon­ser­va­ti­ve zielt und wo man die Gren­ze zieht, ist Teil des Pro­blems. Die­ser Gedan­ke begrün­det die Asso­zia­ti­on des Begriffs »pro­gres­siv« mit einem bestimm­ten Gesell­schafts­ide­al und die häu­fi­ge Ein­ord­nung alles nicht in die­sem Sinn Pro­gres­si­ven als »gest­rig«.

Pro­gres­si­ve Eli­ten glau­ben häu­fig, ihre Vor­stel­lun­gen ein­fach mit Macht und ohne Dis­kus­si­on durch­set­zen zu kön­nen, da sie die­se Vor­stel­lun­gen in Über­ein­stim­mung mit gesell­schaft­li­chem Fort­schritt schlecht­hin sehen. Sie begrei­fen sich selbst als Pio­nie­re einer bes­se­ren Zukunft, die so oder so kom­men wer­de, sofern die Gesell­schaft sich wei­ter- und nicht zurückentwickelt.

Den Rech­ten »kei­ne Platt­form bie­ten«, eine »rote Linie zie­hen«, die »Gren­zen des Sag­ba­ren anmah­nen“, rech­te Publi­ka­tio­nen und Publi­zis­ten iso­lie­ren, ihre Ver­an­stal­tun­gen unter­bin­den und so wei­ter: Das alles ist kon­se­quent und fol­ge­rich­tig, wenn man die Rech­te als eine Art Krank­heit, Ver­ir­rung oder letz­ten Aus­läu­fer einer archai­schen Ver­gan­gen­heit betrach­tet. Man heilt Krank­hei­ten, indem man die Erre­ger tötet oder ihnen die Lebens­grund­la­ge ent­zieht, so dass sie von selbst sterben.

Wenn rech­tes Den­ken und Emp­fin­den aber eben­so wie lin­kes eine tie­fe­re Wur­zel in der mensch­li­chen Natur hat, ist die­se Stra­te­gie falsch und gefähr­lich. Je ele­men­ta­rer die Aspek­te des Den­kens und Emp­fin­dens sind, die man für »rechts« und damit für unzu­läs­sig erklärt, des­to här­ter die Bot­schaft an Rech­te: »Dei­ne Wirk­lich­keit ist nicht real und das, was für dich wert­voll ist, darf nicht exis­tie­ren« (zu schwei­gen von »du bist der Krebs der Gesellschaft«).

Jeder, der einen Hauch Selbst­be­haup­tung im Leib hat, wird als Reak­ti­on dar­auf umso stär­ker auf den ange­grif­fe­nen Aspek­ten sei­nes Lebens und sei­ner Wirk­lich­keit behar­ren. Das bedeu­tet zugleich, dass ihm ihr Wert stär­ker bewusst wird.

Der Ver­such einer all­ge­mein­ver­bind­li­chen Durch­set­zung lin­ker Iden­ti­täts­po­li­tik befeu­ert die Renais­sance rech­ter Iden­ti­täts­po­li­tik. Je stär­ker die Repres­si­on ist, des­to umfas­sen­der geschieht dies im Ver­bor­ge­nen. Das begüns­tigt dort Sek­ten­den­ken und ein Selbst­ver­ständ­nis als ver­folg­te Min­der­heit. Dar­aus folgt ent­spre­chen­de Wut, ggf. mit Wahn­ideen gemischt, und die Gewiss­heit, auf zivi­len, demo­kra­ti­schen Wegen nichts errei­chen zu können.

Auch abge­se­hen davon, was im Unter­grund pas­sie­ren mag, ent­steht rech­ter Gegen­druck, bei­de Sei­ten schau­keln sich in ihrem Ant­ago­nis­mus hoch und stei­gern sich in ein Gut-und-Böse-Sche­ma hin­ein. Je tie­fer die Spal­tung wird, des­to weni­ger ist noch jemand in der Lage, sich nüch­tern mit den Fra­gen und The­men aus­ein­an­der­zu­set­zen, an denen sich der Streit eigent­lich ent­zün­det. Alle emp­fan­ge­nen Infor­ma­tio­nen ste­hen sofort im Dienst des Kamp­fes gegen das in der geg­ne­ri­schen Grup­pe ver­kör­per­te Böse, nicht im Dienst des Verstehens.

Je weni­ger wir ver­ste­hen, des­to weni­ger haben wir die Din­ge unter Kon­trol­le. Je weni­ger wir die Din­ge unter Kon­trol­le haben, des­to mehr Angst haben wir und des­to irra­tio­na­ler wer­den wir. Der eska­lie­ren­de Tri­ba­lis­mus führt zu Entzivilisierung.

Das Ver­ständ­nis der Per­sön­lich­keits­grund­la­gen von Rechts und Links hilft, sich vom magisch-mythi­schen Gut-und-Böse-Den­ken zu befrei­en und Men­schen mit ande­ren Mei­nun­gen und Prä­fe­ren­zen als das zu sehen, was sie sind: Men­schen mit ande­ren Mei­nun­gen und Prä­fe­ren­zen. Mit sol­chen dis­ku­tiert es sich leich­ter als mit Dämo­nen, von denen man mit Sicher­heit zu wis­sen glaubt, dass sie alles nie­der­bren­nen wollen.

Von einem popu­lä­ren lin­ken Stand­punkt aus wür­de man bei alle­dem ein­wen­den, ich kön­ne doch aber nicht Links und Rechts ein­fach so als Äqui­va­len­te behan­deln. Wenn die Lin­ke in ihrer Geschich­te auch auf Abwe­ge gera­ten sei, sei­en doch aber ihre Idea­le gut, bei den Rech­ten hin­ge­gen schon die Idea­le böse. Hier set­ze ich mich mit die­sem Argu­ment aus­ein­an­der und wei­se es zurück.

Die Big Five als Persönlichkeitsbasis von Rechts und Links

Rech­te und lin­ke poli­ti­sche Ein­stel­lun­gen wur­zeln in den all­ge­mei­nen Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaf­ten »Offen­heit für Erfah­rung« und »Gewis­sen­haf­tig­keit«. Bei Lin­ken ist das Merk­mal Offen­heit stark und das Merk­mal Gewis­sen­haf­tig­keit schwach aus­ge­prägt, bei Rech­ten ist es umgekehrt.

Das Merk­mal Offen­heit ist die stärks­te psy­cho­lo­gi­sche Kor­re­la­ti­on mit der poli­ti­schen Ori­en­tie­rung auf dem Rechts-Links-Spek­trum. Inso­fern ist der Links-Rechts-Kon­flikt zu einem gewis­sen Grad als Kon­flikt zwi­schen psy­cho­lo­gi­scher Offen­heit und Geschlos­sen­heit zu begrei­fen. (Die Quel­le der Anga­ben in die­sem und dem nächs­ten Abschnitt ist Ger­ber et al. 2011, ein Über­blicks­ar­ti­kel, in dem sich vie­le wei­te­re Quel­len finden).

Offen­heit und Gewis­sen­haf­tig­keit sind zwei der fünf Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaf­ten oder Tem­pe­ra­men­te, die das wis­sen­schaft­lich am bes­ten abge­si­cher­te Per­sön­lich­keits­maß bil­den. Die­ses ist auch unter dem Namen »Big Five« bekannt. Es bil­det die Aus­prä­gung von fünf glo­ba­len Per­sön­lich­keits­merk­ma­len ab, mit denen man die Per­sön­lich­keit jedes Men­schen beschrei­ben und gewis­se Ver­hal­tens­vor­her­sa­gen tref­fen kann.

Die Big-Five-Merk­ma­le sind teil­wei­se erb­lich, machen sich bereits früh in der Kind­heit bemerk­bar und blei­ben über das gan­ze Leben weit­ge­hend sta­bil. Sie wei­sen Zusam­men­hän­ge mit mess­ba­ren bio­lo­gi­schen Merk­ma­len auf. Bei­spiels­wei­se kor­re­liert das Merk­mal Gewis­sen­haf­tig­keit mit der Grö­ße des late­ra­len prä­fron­ta­len Kor­tex, der wich­tig für Pla­nung und Impuls­kon­trol­le ist.

Dar­über hin­aus besit­zen die Big Five Vor­her­sa­ge­kraft für eine lan­ge Lis­te von Ver­hal­tens­wei­sen und bio­gra­phi­schen Resul­ta­ten. Sie kor­re­lie­ren mit Alko­hol- und Tabak­kon­sum, der Häu­fig­keit sport­li­cher Betä­ti­gung, der geis­ti­gen und kör­per­li­chen Gesund­heit, dem Ver­hal­ten in öko­no­mi­schen Plan­spie­len, dem beruf­li­chen Sta­tus, ver­schie­de­nen Erzie­hungs­sti­len und mehr.

Im Fol­gen­den gebe ich die Beschrei­bung der Big-Five-Merk­ma­le aus dem Hand­buch  zu die­ser deut­schen Aus­ga­be des Fra­ge­bo­gens wie­der, da die US-ame­ri­ka­ni­schen Arti­kel, mit denen ich hier arbei­te, nur sehr knap­pe Cha­rak­te­ri­sie­run­gen ent­hal­ten. Sie sind jeweils als bipo­la­re Ska­la zu ver­ste­hen, wobei das Merk­mal jeweils nach einem der End­punk­te benannt ist. Die Benen­nung des Merk­mals »Neu­ro­ti­zis­mus« vari­iert; die US-Lite­ra­tur nennt es »emo­tio­na­le Sta­bi­li­tät«. Dies ist schlicht das ande­re Ende der Skala.

  • Pro­ban­den mit hohen Wer­ten in Neu­ro­ti­zis­mus nei­gen dazu, ner­vös, ängst­lich, trau­rig, unsi­cher und ver­le­gen zu sein und sich Sor­gen um ihre Gesund­heit zu machen. Sie nei­gen zu unrea­lis­ti­schen Ideen und sind weni­ger in der Lage, ihre Bedürf­nis­se zu kon­trol­lie­ren und auf Stress­si­tua­tio­nen ange­mes­sen zu reagieren.
  • Pro­ban­den mit hohen Wer­ten in Extra­ver­si­on sind gesel­lig, aktiv, gesprä­chig, per­so­nen­ori­en­tiert, herz­lich, opti­mis­tisch und hei­ter. Sie mögen Anre­gun­gen und Aufregungen.
  • Pro­ban­den mit hohen Wer­ten in Offen­heit für Erfah­rung (Open­ness to Expe­ri­ence) zeich­nen sich durch eine hohe Wert­schät­zung für neue Erfah­run­gen aus, bevor­zu­gen Abwechs­lung, sind wiss­be­gie­rig, krea­tiv, phan­ta­sie­voll und unab­hän­gig in ihrem Urteil. Sie haben viel­fäl­ti­ge kul­tu­rel­le Inter­es­sen und inter­es­sie­ren sich für öffent­li­che Ereignisse.
  • Pro­ban­den mit hohen Wer­ten in der Ska­la Ver­träg­lich­keit (Agree­ab­leness) sind altru­is­tisch, mit­füh­lend, ver­ständ­nis­voll und wohl­wol­lend. Sie nei­gen zu zwi­schen­mensch­li­chem Ver­trau­en, zur Koope­ra­ti­vi­tät, zur Nach­gie­big­keit, und sie haben ein star­kes Harmoniebedürfnis.
  • Die Ska­la Gewis­sen­haf­tig­keit (Con­sci­en­tious­ness) schließ­lich unter­schei­det ordent­li­che, zuver­läs­si­ge, hart arbei­ten­de, dis­zi­pli­nier­te, pünkt­li­che, peni­ble, ehr­gei­zi­ge und sys­te­ma­ti­sche von nach­läs­si­gen und gleich­gül­ti­gen Personen.

Woher kommen die fünf Faktoren?

Das Fünf-Fak­to­ren-Modell wur­de aus Wör­tern und Aus­drü­cken abge­lei­tet, die Men­schen in natür­li­chen Spra­chen zur Beschrei­bung von Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaf­ten ver­wen­den. Der Gedan­ke dahin­ter ist, dass sol­che Begrif­fe sich des­halb als Tei­le einer natür­li­chen Spra­che eta­bliert haben, weil sie regel­mä­ßig auf­tre­ten­de Merk­ma­le von Per­so­nen erfassen.

Man sam­melt also sprach­li­che Aus­drü­cke, die Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaf­ten beschrei­ben. Durch Zusam­men­fas­sung bedeu­tungs­ver­wand­ter Begrif­fe redu­ziert man den Bestand auf eine hand­hab­ba­re Anzahl und ver­wan­delt die ver­blei­ben­den in etwas, das man abfra­gen kann. Dazu die­nen meist soge­nann­te »Items«. Das sind Aus­sa­ge­sät­ze, denen die Befrag­ten auf einer abge­stuf­ten Ska­la zustim­men oder wider­spre­chen kön­nen. Beispiele:

  • Ich füh­le mich oft unsicher.
  • Ich bin ger­ne mit ande­ren Men­schen zusammen.
  • Ich bin sehr pflichtbewusst.

Um von Dut­zen­den oder Hun­der­ten sol­cher Aus­sa­gen auf eine sinn­vol­le, klei­ne­re Zahl von zugrun­de­lie­gen­den Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaf­ten zu kom­men, nimmt man eine Fak­to­ren­ana­ly­se vor. Das bedeu­tet, auf Basis rea­ler Befra­gun­gen her­aus­zu­rech­nen, wel­che der abge­frag­ten Merk­ma­le zusam­men vari­ie­ren. Wer sich zum Bei­spiel »oft unsi­cher« fühlt, bezeich­net sich ten­den­zi­ell auch als »ängst­li­chen Men­schen«, der »viel grü­belt« usw. Zusam­men mit wei­te­ren Items ergä­ben die­se dann den Fak­tor Neurotizismus.

Die Ein­zel­aus­sa­gen der Items wer­den also auf Basis der gemein­sa­men Varia­ti­on rea­ler Ant­wor­ten zu über­ge­ord­ne­ten psy­chi­schen Eigen­schaf­ten zusammengefasst.

Linke sind offen, Rechte gewissenhaft

Um näher auf die Zusam­men­hän­ge der Big Five mit rech­ten und lin­ken Ein­stel­lun­gen ein­zu­ge­hen, bezie­he ich mich im Fol­gen­den auf eine Stu­die von 2010, die auf einer reprä­sen­ta­ti­ven Stich­pro­be von gut 12.000 US-Wäh­lern beruht. Die Gra­fik gibt das Ergeb­nis kom­pakt wieder.

Korrelationen Big 5 und Links/Rechts

Kor­re­la­tio­nen zwi­schen Big-Five-Eigen­schaf­ten und poli­ti­schen Ein­stel­lun­gen. Quel­le: Ger­ber et al. 2010.

Auf der Rechts­ach­se sind die fünf Per­sön­lich­keits­fak­to­ren sowie der Ein­fluss von Ein­kom­men und Bil­dung auf poli­ti­sche Ein­stel­lun­gen abge­tra­gen. Die letz­te­ren die­nen dazu, die Grö­ße des Effekts der Big-Five-Eigen­schaf­ten bes­ser ein­schät­zen zu können.

Die Hoch­ach­se stellt rech­te Ein­stel­lun­gen als nega­ti­ve und lin­ke als posi­ti­ve Wer­te dar.

Jede Eigen­schaft ist mit drei Bal­ken reprä­sen­tiert, weil die Autoren neben glo­ba­len poli­ti­schen Ein­stel­lun­gen auch Mei­nun­gen zu spe­zi­fi­schen Poli­tik­fel­dern erho­ben haben. Dies zeigt, dass ein Mensch auch in einem Poli­tik­be­reich eine eher rech­te und im ande­ren eine eher lin­ke Posi­ti­on ver­tre­ten kann. Das erklärt sich in der Regel aus sei­ner sozia­len Situa­ti­on. Dazu unten mehr.

Mit »Social Poli­cy« ist hier nicht das gemeint, was wir im Deut­schen »Sozi­al­po­li­tik« nen­nen. Die­se wür­de unter »Eco­no­mic Poli­cy« fal­len. »Social Poli­cy« bezieht sich auf pro­gres­siv kon­no­tier­te The­men wie Abtrei­bung und Homosexuellenehe.

Blei­ben wir aber vor­erst beim jeweils lin­ken Bal­ken, der die glo­ba­len poli­ti­schen Ein­stel­lun­gen gemäß der Rechts-Links-Ach­se anzeigt. Die Haupt­be­fun­de sind:

  • Offen­heit für Erfah­rung ist der Fak­tor mit der größ­ten Bedeu­tung für die poli­ti­sche Ein­stel­lung. In star­ker Aus­prä­gung ist er nahe­zu allein bestim­mend für eine lin­ke Ein­stel­lung. Bereits ein lesens­wer­ter Über­blicks­ar­ti­kel von 1996 zeig­te die weit­rei­chen­de Bedeu­tung die­ses Fak­tors auf, der neben poli­ti­schen Ein­stel­lun­gen auch etwa den Kunst­ge­schmack, den Humor und die Wahl von Freun­den und Part­nern mess­bar mit­be­stimmt (McC­rae 1996).
  • Eine rech­te Ein­stel­lung ist durch eine rela­tiv star­ke Aus­prä­gung des Fak­tors Gewis­sen­haf­tig­keit und in gerin­ge­rem Umfang des Fak­tors emo­tio­na­le Sta­bi­li­tät cha­rak­te­ri­siert. Gewis­sen­haf­tig­keit ist der zuver­läs­sigs­te psy­cho­lo­gi­sche Prä­dik­tor für den Lebens­er­folg in ver­schie­de­nen Berei­chen (Duck­worth et al. 2012).
  • Der Ein­fluss des Fak­tors Offen­heit auf die poli­ti­sche Ein­stel­lung ist deut­lich grö­ßer als der­je­ni­ge von Ein­kom­men oder Bil­dung. Gewis­sen­haf­tig­keit liegt etwa in der glei­chen Grö­ßen­ord­nung wie Bil­dung und hat immer noch einen deut­lich grö­ße­ren Ein­fluss als das Einkommen.

Zusam­men­fas­send könn­te man also sagen, Lin­ke sind eher neu­gie­rig und krea­tiv, Rech­te eher prag­ma­tisch und effektiv.

Weil sie sich zum Neu­en hin­ge­zo­gen füh­len, stre­ben Lin­ke nach Ver­än­de­rung; weil sie fan­ta­sie­voll sind, mögen sie Uto­pien; weil sie intel­lek­tu­el­le Sti­mu­la­ti­on brau­chen, sind sie von Theo­rien fas­zi­niert. Sie erle­ben fes­te Struk­tu­ren und Rou­ti­nen ten­den­zi­ell als been­gend. Sie sind Künst­ler, Erfin­der und Innovateure.

Rech­te füh­len sich woh­ler und sind eher kom­pe­tent unter Bedin­gun­gen, die von Ord­nung und Regel­mä­ßig­keit cha­rak­te­ri­siert sind. Bei der Aus­sicht auf uto­pis­tisch moti­vier­te Ver­än­de­rung sehen sie eher das Bewähr­te, was ver­lo­ren gin­ge, als das schil­lern­de Neue, das bis­lang nur eine Fan­ta­sie ist, die für nichts garan­tiert. Sie erle­ben das Feh­len fes­ter Struk­tu­ren und Rou­ti­nen ten­den­zi­ell als Kon­troll- und Ori­en­tie­rungs­ver­lust. Sie sind gut in der Anwen­dung und Durch­füh­rung bestehen­der Ver­fah­ren, sie sind effi­zi­ent und struk­tu­riert. Sie hal­ten den Betrieb am Laufen.

Offen­heit vs. Gewissenhaftigkeit

Der Überlebenswert von Stabilität und Plastizität

Die Ant­wor­ten aus Big-Five-Erhe­bun­gen las­sen sich zu zwei über­ge­ord­ne­ten Fak­to­ren bün­deln. Das steht nicht im Wider­spruch zu der Aus­sa­ge, dass es fünf Fak­to­ren gibt. Viel­mehr han­delt es sich um das­sel­be Bild in zwei ver­schie­den schar­fen Auflösungen.

Bereits die fünf Fak­to­ren ver­grö­bern die Auf­lö­sung, indem sie anhand empi­ri­scher Kova­ria­ti­on der Item­ant­wor­ten die Item­in­hal­te zu all­ge­mei­ne­ren psy­chi­schen Ten­den­zen zusam­men­fas­sen. Das kann man auch noch ein­mal auf einer höhe­ren Ebe­ne tun. Dort erge­ben sich dann die zwei Fak­to­ren Sta­bi­li­tät und Plas­ti­zi­tät (DeY­oung et al. 2002).

In die­sen zwei »Super-Fak­to­ren« erge­ben Extra­ver­si­on und Offen­heit zusam­men Plas­ti­zi­tät, wäh­rend sich Ver­träg­lich­keit, Gewis­sen­haf­tig­keit und emo­tio­na­le Sta­bi­li­tät als Aspek­te des über­ge­ord­ne­ten Fak­tors Sta­bi­li­tät darstellen.

DeY­oung et al. argu­men­tier­ten, dass jedes kom­ple­xe Sys­tem über Mecha­nis­men ver­fü­gen muss, die sei­ne Struk­tur auf­recht erhal­ten (Sta­bi­li­tät). Zugleich muss es zu einer mehr oder weni­ger fle­xi­blen Anpas­sung an sich ändern­de Situa­tio­nen und Umwel­ten fähig sein (Plas­ti­zi­tät). Es muss also die opti­ma­le Balan­ce zwi­schen die­sen bei­den Ten­den­zen finden.

Die hier bespro­che­nen Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaf­ten könn­ten Aus­druck die­ser uni­ver­sel­len Not­wen­dig­keit sein. Dies wür­de erklä­ren, war­um die Aus­prä­gun­gen der bei­den Grund­ten­den­zen von Mensch zu Mensch vari­ie­ren, so dass beim einen die eine und beim ande­ren die ande­re domi­niert. Für einen Zufall ist das Phä­no­men zu uni­ver­sell, dass in mensch­li­chen Grup­pen stets eher kon­ser­va­ti­ve und eher pro­gres­si­ve Teil­grup­pen neben­ein­an­der ste­hen. Viel­leicht erfül­len die­se Teil­grup­pen für mensch­li­che Gesell­schaf­ten eben­die­se Funk­ti­on, sowohl sta­bi­li­sie­ren­de als auch ver­än­de­rungs­of­fe­ne Poten­tia­le bereit­zu­stel­len, die ein­an­der die Waa­ge hal­ten und je nach aktu­el­ler Situa­ti­on die Ober­hand gewin­nen können.

Man­che erle­ben Neu­es als reiz­voll, sehen im Unbe­kann­ten Chan­cen und haben eine grö­ße­re Sen­si­bi­li­tät für die Gefah­ren der Star­re und Rigi­di­tät. Ande­re sehen den Wert des Bewähr­ten und die Gefah­ren, die in uner­forsch­tem Ter­ri­to­ri­um lau­ern. So kön­nen bei­de Teil­grup­pen durch Kom­mu­ni­ka­ti­on den Hori­zont der jeweils ande­ren erwei­tern. Dadurch sieht die Grup­pe ins­ge­samt mehr als sie sehen könn­te, wenn die Grund­ten­den­zen der Per­sön­lich­keit bei allen Indi­vi­du­en gleich aus­ge­prägt wären.

Es ist klar, dass eine all­zu unge­zü­gel­te Neu­gier, ein all­zu leicht­fer­ti­ges Vor­drin­gen ins Unbe­kann­te und ein all­zu rea­li­täts­fer­nes Träu­men eben­so gefähr­lich sein kön­nen wie ein stu­res Behar­ren auf gewohn­ten Prak­ti­ken oder die Unfä­hig­keit zur Ver­än­de­rung unter ver­än­der­ten Bedingungen.

Eben­so klar ist, dass kei­ne der bei­den Grund­ten­den­zen per se böse oder gut, mora­lisch oder unmo­ra­lisch ist.

Neu­gier, Fan­ta­sie und Expe­ri­men­te sind gut, aber das ein­mal Erreich­te zu schüt­zen und »gewis­sen­haft« die Arbeit zu tun, auf denen das Wei­ter­le­ben aller Gesell­schafts­mit­glie­der beruht, ist eben­falls gut. Auch die Abwehr des Frem­den ist gut oder zumin­dest nötig, wenn die­ses Frem­de das eige­ne Über­le­ben bedroht.

Die­ses Kon­di­tio­nal »wenn« bezeich­net den Punkt, an dem die Pro­ble­me mit Rechts und Links begin­nen. Es gibt vie­le Bei­spie­le dafür, dass psy­chi­sche Mecha­nis­men, die im Evo­lu­ti­ons­pro­zess auf lan­ge Sicht Über­le­bens­chan­cen maxi­mie­ren, dies durch­aus nicht in jeder ein­zel­nen Situa­ti­on tun. Unser Instinkt, bei Gefahr weg­zu­lau­fen, leis­tet auf lan­ge Sicht gute Diens­te. Wenn aber unse­re Klei­dung brennt oder wir einem Bären begeg­nen, ist das die fal­sche Reak­ti­on. Dadurch ent­kom­men wir der Gefahr nicht, son­dern ver­grö­ßern sie.

Die Moti­va­ti­on des Ver­hal­tens ist auf ein gewünsch­tes Ergeb­nis gerich­tet (Aus­schal­ten der Gefahr), doch das Ver­hal­ten bewirkt in bestimm­ten Situa­tio­nen etwas ande­res, näm­lich die Ver­grö­ße­rung der Gefahr. Des­we­gen ist aber nicht der Instinkt an sich falsch, schlecht oder gefährlich.

Die Situationsabhängigkeit von Rechts und Links

Wie erwähnt ging es in der zitier­ten Stu­die von 2010 unter ande­rem dar­um, dass die Big-Five-Fak­to­ren zu unter­schied­li­chen poli­ti­schen Stand­punk­ten füh­ren, je nach­dem, in wel­cher sozia­len Situa­ti­on sich der Betref­fen­de befindet.

Ein ein­fa­ches Bei­spiel dafür ist in der Gra­fik ent­hal­ten. Mit stei­gen­dem Ein­kom­men ten­die­ren Men­schen zu einer »rech­ten« Wirt­schafts­po­li­tik, neh­men also Abstand von Ideen staat­li­cher Ein­grif­fe und Umver­tei­lung. Das ist logisch, denn für die Gut­ver­die­nen­den funk­tio­niert das Sys­tem, wie es ist.

Um die­sen Effekt näher zu erfor­schen, haben die Autoren Stich­pro­ben von wei­ßen und schwar­zen US-Ame­ri­ka­nern ver­gli­chen. Da sich die Schwar­zen – nicht aus­nahms­los, aber im Durch­schnitt sehr deut­lich – in einer sozi­al benach­tei­lig­ten Situa­ti­on befin­den, eig­nen sie sich zur Über­prü­fung der Hypo­the­se, dass Eigen­schaf­ten wie Offen­heit, Gewis­sen­haf­tig­keit, emo­tio­na­le Sta­bi­li­tät und so wei­ter je nach sozia­ler Situa­ti­on unter­schied­li­che poli­ti­sche Posi­tio­nen nahelegen.

Der über­ge­ord­ne­te Aus­druck die­ses Effekts ist, dass Schwar­ze gene­rell im Durch­schnitt wei­ter links ste­hen. Dar­über hin­aus erga­ben sich fol­gen­de Befunde.

  • »Gewis­sen­haf­te« Schwar­ze sind anders als Wei­ße im Durch­schnitt nicht kon­ser­va­tiv. Je nach­dem, wel­che Chan­cen man für sich selbst sieht und wie man das Sys­tem bewer­tet, legt Gewis­sen­haf­tig­keit als Cha­rak­ter­zug ver­schie­de­ne Stand­punk­te und Ver­hal­tens­wei­sen nahe, z.B. kon­ven­tio­nel­le Streb­sam­keit ver­sus poli­ti­sche Opposition.
  • Schwar­ze mit stark aus­ge­präg­ter Offen­heit für Erfah­rung sind im Durch­schnitt weni­ger links als Wei­ße. Die Erklä­rung der Autoren dafür ist, dass in schwar­zen Milieus lin­ke Ein­stel­lun­gen die Norm sind. Indi­vi­du­en mit star­ker Ten­denz, das Neue zu suchen, nei­gen eben auf­grund die­ser Ten­denz zur Normabweichung.
  • Schwar­ze mit stark aus­ge­präg­ter emo­tio­na­ler Sta­bi­li­tät sind im Durch­schnitt weni­ger rechts als Wei­ße mit die­ser Eigen­schaft. Für Wei­ße, die zur Sor­ge und Ängst­lich­keit nei­gen, steht lin­ke Poli­tik für ein sozia­les Sicher­heits­netz. Für Schwar­ze, die in der sozia­len Hier­ar­chie nied­ri­ger ste­hen, ver­heißt sie eher eine Her­stel­lung von Gerech­tig­keit, die noch aus­steht. Dabei sind Ängst­lich­keit und Sor­gen weni­ger relevant.

Die übri­gen Unter­schie­de sind nicht signi­fi­kant. Mit der Dif­fe­ren­zie­rung nach »Eco­no­mic« und »Social Poli­cy« tre­ten wei­te­re zuta­ge, doch soweit muss ich hier nicht ins Detail gehen.

His­to­risch war die lin­ke Bewe­gung immer eine herr­schafts­kri­ti­sche. Da herr­schen­de Grup­pen und Herr­schafts­me­cha­nis­men umso fixer sind, je wei­ter man in die Geschich­te zurück­schaut, ist plau­si­bel, dass Links­sein zunächst mit Offen­heit asso­zi­iert war und eine sol­che Asso­zia­ti­on als nor­mal gilt. Men­schen mit stark aus­ge­präg­ter Offen­heit wol­len Ver­än­de­rung und bege­ben sich dadurch in Kon­flikt mit den Herrschenden.

Doch wenn ursprüng­lich lin­ke Grup­pie­run­gen an die Schalt­he­bel der Macht gelan­gen, ändert sich die Kon­stel­la­ti­on. Sobald sie ihr z.B. kom­mu­nis­ti­sches Sys­tem instal­liert haben, wol­len sie es auf Dau­er stellen.

Sie mögen sich durch ritua­lis­ti­sche Revo­lu­ti­ons­ro­man­tik wei­ter­hin als die Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gung insze­nie­ren, aus der sie einst her­vor­ge­gan­gen sind, und sie mögen wei­ter­hin gegen »bour­geoi­se« Ele­men­te ihrer Kul­tur vor­ge­hen und dies als fort­ge­setz­te Rebel­li­on gegen das alte Estab­lish­ment deu­ten. Fakt ist aber, dass sie nun die Herr­schen­den sind, für die jede Ver­än­de­rung von unten ten­den­zi­ell eine Gefahr ist.

Der Psy­cho­lo­ge und Auto­ri­ta­ris­mus­for­scher Bob Alte­mey­er hat kurz vor dem Zusam­men­bruch der Sowjet­uni­on eine Erhe­bung unter Mos­kau­er Stu­den­ten durch­ge­führt. Dabei stell­te er fest, dass die­je­ni­gen, die am stärks­ten zu ihrer kom­mu­nis­ti­schen Regie­rung stan­den, die höchs­ten Wer­te in der auto­ri­tä­ren Ein­stel­lung erziel­ten, die Alte­mey­er »Right-Wing-Aut­ho­ri­ta­ria­nism« nennt. Wie man erwar­ten wür­de, kor­re­liert die­se posi­tiv mit Gewis­sen­haf­tig­keit und nega­tiv mit Offen­heit (Bob Alte­mey­er: The Aut­ho­ri­ta­ri­an Spec­ter. Cam­bridge, MA und Lon­don: Har­vard Uni­ver­si­ty Press, 1996, S. 125ff.).

Dem­ge­mäß wären die stramms­ten regie­rungs­treu­en Kom­mu­nis­ten in kom­mu­nis­ti­schen Sys­te­men psy­cho­lo­gisch gese­hen nicht Lin­ke, son­dern Rech­te. Anders als eine roman­ti­sche Sicht des Sozia­lis­mus wün­schen wür­de, sind in sol­chen Sys­te­men ja auch Vor­ur­tei­le und Frem­den­feind­lich­keit durch­aus geläufig.

Hat sich die psychologische Zusammensetzung der Lager gewandelt?

Die ver­glei­chen­de Betrach­tung von Schwar­zen und Wei­ßen oben wirft ein Licht auf die ver­än­der­te Gemenge­la­ge bezüg­lich Rechts und Links, mit der wir es heu­te zu tun haben. Weil im ent­spre­chen­den Milieu ten­den­zi­ell alle links sind, nei­gen dort die­je­ni­gen mit stark aus­ge­präg­ter Offen­heit dazu, weni­ger links zu sein. Salopp gesagt, weil die Kon­for­mi­tät sie lang­weilt und viel­leicht auch miss­trau­isch macht.

Ich beob­ach­te seit eini­gen Jah­ren eine anhal­ten­de Links­flucht, nicht zuletzt an mir selbst.

Ich bin ziem­lich klar von dem Fak­tor Offen­heit cha­rak­te­ri­siert. Wenn ich mir die Items anse­he, den­ke ich stän­dig nickend, ja, das ken­ne ich. Mich inter­es­sie­ren neue, unge­wöhn­li­che, unbe­que­me Gedan­ken. Mich fas­zi­nie­ren unge­lös­te intel­lek­tu­el­le Pro­ble­me und Wider­sprü­che. Sobald ich etwas zu mei­ner Zufrie­den­heit ver­stan­den habe, beginnt es mich zu lang­wei­len, dar­über zu reden. Sobald ich in einer Grup­pe bin, in der alle das­sel­be glau­ben und dar­über nicht mehr nach­den­ken, füh­le ich mich unwohl und wer­de miss­trau­isch gegen die­sen Glau­ben. Alles, was nach Kon­for­mi­tät und geist­lo­sem Gleich­marsch aus­sieht, macht mir Angst. Apro­pos Angst, mein Neu­ro­ti­zis­mus ist auch über dem Durch­schnitt. Über mein Minus in Gewis­sen­haf­tig­keit sage ich lie­ber nichts.

Nach mei­nen Big-Five-Wer­ten müss­te ich am Anschlag links sein. Frü­her war ich das auch. Heu­te sehe ich mich zwar nicht rechts, kann mich aber auf­grund der erdrü­cken­den geis­ti­gen Enge, die das lin­ke Lager in den letz­ten Jah­ren erfasst hat, auch nicht mehr links ein­ord­nen. Ich fin­de eher inter­es­san­te Gedan­ken sowie Offen­heit und Tole­ranz unter Kon­ser­va­ti­ven, Libe­ral­kon­ser­va­ti­ven, Libe­ra­len und Liber­tä­ren, also zusam­men­ge­fasst Zen­tris­ten und Rechten.

So gese­hen bin ich tat­säch­lich nach rechts gerückt, das aber nicht trotz, son­dern gera­de auf­grund mei­ner Offen­heit. Ich zweif­le kei­ne Sekun­de dar­an, dass ich min­des­tens genau­so rebel­lie­ren wür­de, wenn Rech­te eine rech­te Leit­kul­tur instal­lier­ten, die ähn­lich ein­di­men­sio­nal, bor­niert und into­le­rant wäre wie heu­te die (neu)linke.

Die kul­tu­rell domi­nan­te Lin­ke scheint in den letz­ten Jah­ren zu etwas ande­rem mutiert zu sein, das bei mir und ande­ren die­se Links­flucht aus­löst. Ein wich­ti­ges Stich­wort dabei ist die poli­ti­sche Kor­rekt­heit. Sie ver­bin­det die tra­di­tio­nell lin­ken Stre­bun­gen nach Gerech­tig­keit und Par­tei­nah­me für die Schwa­chen mit tra­di­tio­nell eher rech­ten Stre­bun­gen wie dem nach auto­ri­tä­rer Schaf­fung von (poli­tisch-ideo­lo­gi­scher) Homo­ge­ni­tät. Einer unver­öf­fent­lich­ten Stu­die von Jor­dan Peter­son und Cathe­ri­ne Bro­phy zufol­ge setzt sich die Anhän­ger­schaft der poli­ti­schen Kor­rekt­heit aus zwei Teil­grup­pen zusam­men, von denen eine durch ihren Ega­li­ta­ris­mus und die ande­re durch Auto­ri­ta­ris­mus moti­viert ist.

Bob Alte­mey­er kam im genann­ten Buch von 1996 am Ran­de zu einem ähn­li­chen Befund. Um zu prü­fen, ob es neben dem rech­ten auch einen lin­ken Auto­ri­ta­ris­mus gibt, kon­stru­ier­te er einen ent­spre­chen­den Fra­ge­bo­gen, der etwa erhob, ob man sich einem star­ken Füh­rer im Kampf gegen das Estab­lish­ment anschlie­ßen wür­de und Ähn­li­ches. Der inter­es­san­te Befund war, dass teil­wei­se die­sel­ben Per­so­nen, die der­glei­chen bejah­ten, auch die Items des rech­ten Auto­ri­ta­ris­mus bejah­ten. Alte­mey­er bezeich­ne­te die­se Grup­pe als »Wild-Card Aut­ho­ri­ta­ri­ans«, weil sie sich unbe­se­hen des Inhalts zum Prin­zip von Auto­ri­tät und Unter­wer­fung hin­ge­zo­gen zu füh­len schei­nen (Alte­mey­er 1996, S. 223f.). Die­se Wild-Card Aut­ho­ri­ta­ri­ans hat­ten die höchs­ten Wer­te in poli­ti­scher Kor­rekt­heit, höher als sowohl Rech­te als auch Lin­ke (ebd., S. 233).

Man kann also anneh­men, dass sich die Lin­ke in ihrer herr­schen­den Posi­ti­on gewan­delt hat, indem sie in Tei­len von kon­ser­va­ti­ven und auto­ri­tä­ren Kräf­ten über­nom­men wur­de. Für vie­le Lin­ke mögen Kunst und Kul­tur als Betä­ti­gungs­fel­der für die Bedürf­nis­se der Offen­heit genü­gen, wäh­rend im Umkreis der hei­li­gen Wer­te die­ser Lin­ken kein Nach­den­ken mehr mög­lich ist. Ande­re füh­len sich vom zuneh­men­den Dog­ma­tis­mus die­ses Lagers in die Flucht geschla­gen oder wer­den als Ket­zer verbannt.

Womög­lich voll­zieht sich auf der Rech­ten etwas spie­gel­bild­lich Ana­lo­ges, näm­lich ein Ein­zug von mehr Offen­heit und Krea­ti­vi­tät in Gestalt der­je­ni­gen, die aus dem lin­ken Lager geflo­hen sind oder ver­trie­ben wur­den, und als Aus­druck der Tat­sa­che, dass schlicht Rebel­li­on heu­te eher rechts als links ist. Man mag von Leu­ten wie Paul Joseph Wat­son, Lau­ren Sou­thern, Milo Yiann­o­pu­lous oder hier­zu­lan­de Don Alphon­so hal­ten, was man will, aber sie sind zwei­fel­los rebel­lisch und krea­tiv. (Ich glau­be, Don Alphon­so sieht sich wei­ter­hin links, und in irgend­ei­nem abs­trakt ideel­len Sinn mag er das auch sein, aber im Kon­text der aktu­el­len poli­ti­schen Gemenge­la­ge stellt es sich anders dar.)

Wo fängt der Ärger an?

Wenn man also sagt, dass die Exis­tenz sowohl Rech­ter als auch Lin­ker nor­mal und die Exis­tenz bei­der sogar ein Vor­teil ist, weil sie ver­schie­de­ne, kom­ple­men­tä­re Funk­tio­nen für die Gesell­schaft erfül­len, dann fragt sich: wo begin­nen die Pro­ble­me? Wann und war­um ent­wi­ckeln die bei­den Lager zer­stö­re­ri­sche Ideo­lo­gien, und wann und war­um gehen sie ein­an­der an die Gurgel?

Anders aus­ge­drückt: Wo beginnt und war­um ent­steht Extremismus?

Mei­ner Mei­nung nach ist Extre­mis­mus Fol­ge einer Ver­ab­so­lu­tie­rung der Wer­te, für die die eige­ne Glau­bens­ge­mein­schaft steht. Wenn man sich den rech­ten und den lin­ken Tota­li­ta­ris­mus des 20. Jahr­hun­derts anschaut, sieht man deut­lich die extre­mis­ti­sche Fort­schrei­bung von Wert­prä­fe­ren­zen, die in gemä­ßig­ter Form grund­sätz­lich zum Wesen der jewei­li­gen Lager gehö­ren: Aus dem rech­ten Ord­nungs­stre­ben wird ein Rein­heits­wahn, aus der lin­ken Offen­heit wird das nicht min­der wahn­sin­ni­ge Pro­jekt, Indi­vi­du­um und Gesell­schaft von Grund auf neu zu erschaffen.

Dem liegt eine Sakra­li­sie­rung der eige­nen Wer­te zugrun­de, eine reli­giö­se Über­hö­hung, die die Durch­set­zung der eige­nen Prä­fe­ren­zen zu einer Fra­ge von Gut und Böse macht. Je ent­schie­de­ner dies der Fall ist, des­to ver­zerr­ter wird der Blick auf die Rea­li­tät, des­to grö­ßer wer­den die blin­den Fle­cken über­all dort, wo die hei­li­gen Wer­te berührt sind und das befrie­di­gen­de Gut-und-Böse-Den­ken mit der Kom­ple­xi­tät und Wider­sprüch­lich­keit der Wirk­lich­keit in Kon­flikt gera­ten würde.

Der Pola­ri­sie­rung der Welt­wahr­neh­mung in Gut und Böse ent­spricht eine Pola­ri­sie­rung der sozia­len Welt in Wir und Die. Mora­li­sche Gemein­schaf­ten kön­nen in eine Feed­back­schlei­fe der Selbst­be­stä­ti­gung hineingeraten.

Sie for­mie­ren sich um hei­li­ge Wer­te her­um und die­se hei­li­gen Wer­te sind umge­kehrt das zen­tra­le Schar­nier, das die Grup­pe zusam­men­hält; die Ach­se, um die sie kreist. Inner­halb der Grup­pe steigt auf, wer die­se Wer­te gut zu ver­kör­pern scheint. Wer dage­gen ver­stößt, wird je nach Schwe­re des Ver­sto­ßes zur Ord­nung geru­fen oder aus­ge­schlos­sen. Dies erzeugt unter den Grup­pen­mit­glie­dern einen Wett­be­werb um die sozia­len Chan­cen und Gra­ti­fi­ka­tio­nen, mit denen Nor­men­treue belohnt wird, also einen eska­lie­ren­den Fundamentalismus.

Die mate­ri­el­len Vor­tei­le spie­len eine Rol­le in die­ser Dyna­mik, aber es lässt sich nicht auf sie redu­zie­ren. Men­schen glau­ben wirk­lich. Es gibt ein Bedürf­nis, zu glau­ben, das gleich­zei­tig ein Bedürf­nis ist, einer Grup­pe anzu­ge­hö­ren, die Gebor­gen­heit, Sicher­heit und Ori­en­tie­rung bie­tet. Eine reli­giö­se Erfah­rung ist das Emp­fin­den, Teil eines grö­ße­ren Gan­zen zu sein. Inten­si­ve Grup­pen­er­leb­nis­se öff­nen eine Tür zu die­sem Emp­fin­den. Es ist befrie­di­gend und erfül­lend, und zwar auf eine tie­fe­re und dau­er­haf­te­re Wei­se als die meis­ten ande­ren Befrie­di­gun­gen (wobei Erfah­run­gen der Selbst­tran­szen­denz unter den rich­ti­gen Bedin­gun­gen auch beim Sex vor­kom­men). Das Erleb­nis der Erfül­lung durch das Auf­ge­hen in den hei­li­gen Wer­ten und Prin­zi­pi­en der Grup­pe bestä­tigt dem Ein­zel­nen deren Wahr­heit. Das Glei­che tut von mor­gens bis abends schlicht der Kon­sens inner­halb der Grup­pe. Jeder gibt dir recht, wenn du die gemein­sa­men Wer­te arti­ku­lierst und lebst. Du kannst dir Bewun­de­rung ern­ten, wenn du dich dabei beson­ders ins Zeug legst, und du kannst alles ver­spie­len, wenn du die­se Wer­te ver­letzt. Man unter­schätzt die­sen Effekt leicht, aber es ist äußerst unwahr­schein­lich, dass ein Mensch in Fra­ge stellt, was alle für ihn rele­van­ten Mit­men­schen für selbst­ver­ständ­li­che Wahr­heit halten.

Dies sind all­ge­mei­ne Aspek­te des Mensch­seins, die in extre­mis­ti­schen Grup­pie­run­gen und Sek­ten einen ins Extrem gestei­ger­ten Aus­druck fin­den und von die­sen Grup­pen bzw. ihren Füh­rern aus­ge­beu­tet wer­den. Begüns­tigt wird eine sol­che Ent­wick­lung durch fol­gen­de Faktoren:

  • Sozia­le, poli­ti­sche und phi­lo­so­phi­sche Des­ori­en­tie­rung. Glau­bens­ge­mein­schaf­ten bie­ten eine Hei­mat und einen Boden unter den Füßen in einer Welt, die ohne eine sol­che ideell-sozia­le Hei­mat chao­tisch, bru­tal und über­wäl­ti­gend ist. Der Reiz von Ideo­lo­gien und Sek­ten, eben­so wie der von Süch­ten, wird unter Bedin­gun­gen der Ver­ein­ze­lung und Sinn­lee­re größer.
  • Die Abgren­zung nach außen. Gut-und-Böse-Den­ken ist in poli­ti­schem und sozia­lem Kon­text immer grob ver­ein­fa­chend. Es muss viel unter­schla­gen, weil die Wirk­lich­keit kom­plex und wider­sprüch­lich ist. Dies ist am ehes­ten mög­lich, wenn man unter Men­schen bleibt, die das­sel­be Gut-und-Böse-Den­ken ver­in­ner­licht haben, denn dies schirmt einen von Infor­ma­tio­nen und Erfah­run­gen ab, die der Ver­ein­fa­chung widersprechen.
  • Die Feind­schaft nach außen. Zur Ver­herr­li­chung der Eigen­grup­pe auf Basis von Sakra­li­sie­run­gen gehört die Abwer­tung von Außen­sei­tern. Dies kann, aber muss nicht eine bestimm­te, abgrenz­ba­re Geg­ner­grup­pe sein. Bei radi­ka­len Sek­ten ist es üblich, auf sämt­li­che Nicht­mit­glie­der her­ab­zu­schau­en, weil sie in Sün­de leben und den wah­ren Glau­ben ver­schmä­hen. Kon­kre­te Grup­pen­feind­schaf­ten haben aber ein beson­ders Poten­ti­al zur Radi­ka­li­sie­rung der betref­fen­den Grup­pen, denn in jedem Akt der Feind­se­lig­keit fin­det das (pseudo-)religiös begrün­de­te Emp­fin­den der ande­ren als »böse« eine rea­le Bestätigung.

Hier schließt sich also der Kreis zum Anfang und Kern­an­lie­gen die­ses Arti­kels, denn das bes­te Mit­tel gegen die Ver­wand­lung von sozia­len Grup­pen in Sek­ten ist Kom­mu­ni­ka­ti­on über die Grup­pen­gren­zen hin­weg. Kom­mu­ni­ka­ti­on, die uns vor Augen führt, dass die Außen­sei­ter Men­schen und kei­ne Dämo­nen sind, und uns gleich­zei­tig zwingt, uns wei­ter­hin mit der Kom­ple­xi­tät der Wirk­lich­keit auseinanderzusetzen.

Man kann es tat­säch­lich auch so sehen, dass die Gefahr in der Ver­ein­fa­chung liegt. Wer nur die hal­be Situa­ti­on auf dem Schirm hat, wird mit sei­nem Han­deln in der ver­dun­kel­ten Hälf­te unvor­her­seh­ba­re Wir­kun­gen zei­ti­gen. Da er sei­nen Glau­ben ver­tei­di­gen muss, um sein Gesicht zu wah­ren, hat er ein akti­ves Inter­es­se, die­se unvor­her­seh­ba­ren Wir­kun­gen zu ver­schwei­gen. Im Extrem­fall, wenn Ver­schwei­gen nicht mehr funk­tio­niert, geht er mit Gewalt dage­gen vor.

Das ist der Zusam­men­hang zwi­schen Unwahr­heit und Tota­li­ta­ris­mus. Die Abwen­dung von der Wirk­lich­keit führt zu einem Kon­troll­ver­lust. Die­sen kann man nur mit Gewalt kom­pen­sie­ren, solan­ge man nicht zur Wie­der­hin­wen­dung zur Wirk­lich­keit bereit ist. Letz­te­re wür­de aber erfor­dern, zuzu­ge­ben, dass der zugrun­de­lie­gen­de Glau­be falsch ist. Wenn man bereits die gan­ze sozia­le Wirk­lich­keit und die eige­ne Iden­ti­tät um die­sen Glau­ben her­um arran­giert hat, wird das in der Regel nicht mög­lich sein.

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6 Kommentare

  1. Inter­es­san­te Darlegung.
    Aber sie belegt auch, dass die poli­ti­sche rechts/­links-Ein­tei­lung doch zu ein­di­men­sio­nal und damit über­sim­pli­fi­zie­rend ist.
    Was ist zB mit denen, deren Wer­te bei Offen­heit und Gewis­sen­haf­tig­keit bei­de hoch oder nied­rig sind?

    1. Dan­ke! Klar, es ist nur eine Dimen­si­on. Und es sind nur Kor­re­la­tio­nen. Das heißt, es ist nicht jeder mit hoher Offen­heit und nied­ri­ger Gewis­sen­haf­tig­keit links, aber eine Mehr­heit. Das kann man jetzt nicht auf eine Zahl brin­gen, weil es kein Ent­we­der-Oder ist, son­dern weil es Kon­ti­nu­en sind, mehr oder weni­ger offen/links/gewissenhaft.

      Ganz abs­trakt gespro­chen müss­te jemand mit hoher Offen­heit und Gewis­sen­haf­tig­keit eher links raus­kom­men, weil Offen­heit die stär­ke­re Kor­re­la­ti­on ist. Grund­sätz­lich las­sen die­se Kor­re­la­tio­nen aber einen Spiel­raum und einen nicht erklär­ten Rest. Außer­dem habe ich ja oben erwähnt, dass auch etwa Bil­dung, sozia­ler Sta­tus und die vor­herr­schen­de Mei­nung im Freun­des­kreis hin­ein­spie­len. Die­se Fak­to­ren wür­den also wahr­schein­lich den Aus­schlag geben.

      Jor­dan Peter­son ist übri­gens so ein Kan­di­dat mit gleich­zei­tig sehr hoher Gewis­sen­haf­tig­keit und Offen­heit. Man merkt ihm die bei­den Züge stark an, eine ziem­li­che Pedan­te­rie, wenn es um Fleiß und Ord­nung und so etwas geht, aber gleich­zei­tig eine rie­si­ge intel­lek­tu­el­le Neu­gier. Poli­tisch ist er wohl ein Zen­trist mit Ten­denz zum Konservativen.

  2. Dan­ke, dan­ke, dan­ke! Das kann ich eins zu eins auf mich anwen­den. Eigent­lich klar links und mit einer unbän­di­gen Neu­gier auf ande­re Men­schen und Län­der (und deren Kul­tur) aus­ge­stat­tet, bin ich in den letz­ten Jah­ren ver­trie­ben wor­den. Ange­fan­gen hat es mit dem Femi­nis­mus von heu­te, deren Ver­tre­te­rin­nen mich mit ihrem ewi­gen »Vier­bei­ner gut, Zwei­bei­ner schlecht« Gere­de abge­sto­ßen haben, dass sich nahe­zu gar nicht mit der von mir beob­ach­te­ten Wirk­lich­keit in Ein­klang brin­gen lässt. Auch die »no boar­der« Frak­ti­on hat mir noch nicht erklä­ren kön­nen, wer denn eigent­lich in ihrem Uto­pia für Arbeit­neh­mer­rech­te, Sozi­al­staat, Ver­brau­cher- und Umwelt­schutz etc. sor­gen soll. Ich sehe da nur supra­na­tio­na­le Kon­zer­ne, die sich nahe­zu voll­stän­dig jeder Kon­trol­le ent­zo­gen haben.

    Und die­se Hips­ter-Dep­pen! Hal­ten sich für wahn­sin­nig pro­gres­siv, sehen aber doch alle gleich aus und bewoh­nen in jeder Metro­po­le das exakt glei­che Bio­top. Und sie mer­ken gar nicht, dass sie in Wahr­heit völ­lig recht­lo­se Arbeits­skla­ven sind und die Reinkar­na­ti­on der Tage­löh­ner von einst.

  3. Ich fin­de die Ana­ly­se in dem Bei­trag in vie­ler Hin­sicht sehr pas­send. Eine Anmer­kung habe ich aber zu der zitier­ten Deu­tung, dass »die stramms­ten regie­rungs­treu­en Kom­mu­nis­ten« psy­cho­lo­gisch gese­hen »Rech­te« seien. 

    Das ist sicher von dir nicht so gemeint, aber es erin­nert mich dar­an, dass nicht weni­ge Lin­ke Sta­lin, Mao, Pol Pot & Co. als »rechts« bezeich­nen, was ver­däch­tig nach einem bil­li­gen Weg aus­sieht, die Exzes­se der eige­nen Ideo­lo­gie dem poli­ti­schen Geg­ner in die Schu­he zu schieben. 

    Mir scheint, dass die Unter­schei­dung nach Offen­heit ver­sus Gewis­sen­haf­tig­keit bei mode­ra­ten Lin­ken (z.B. Links­li­be­ra­len) bzw. mode­ra­ten Rech­ten (Kon­ser­va­ti­ven, Liber­tä­ren) zutrifft, wäh­rend die radi­ka­le­ren Kräf­te auf bei­den Sei­ten den im Bei­trag genann­ten »Auto­ri­tä­ren« ent­spre­chen: Leu­te, die über­zeugt sind, als die Guten in einem Kampf gegen die abso­lut Bösen zu ste­hen, bei dem letzt­lich alle Mit­tel erlaubt sind (die Per­spek­ti­ve sol­cher Leu­te beschreibt ja Roy Bau­meis­ter in dem von dir erwähn­ten Buch »Evil«).

    Und wenn sich die Extre­mis­ten auf bei­den Sei­ten so ähneln, mit wel­chem Grund soll­te man die­se »Bösen« allein auf der Sei­te von Liber­tä­ren und Kon­ser­va­ti­ven plat­zie­ren? Viel­leicht wäre es pas­sen­der, statt einer linea­ren links-rechts-Ach­se ein Drei­eck anzu­neh­men, in dem die Auto­ri­tä­ren eine eige­ne Ecke für sich haben (mit Unter­grup­pen für Links­extre­me, die nur noch für ihre Uto­pie »offen« sind, und Rechts­extre­me, die für eine glor­rei­che ver­gan­ge­ne »Ord­nung« kämpfen)? 

    Aber wie gesagt, abge­se­hen von die­sem Ein­wand hat mir der Bei­trag sehr gut gefal­len, nicht zuletzt auch, weil in ihm die Moti­ve bei­der Sei­ten mal aus einer ande­ren, neu­tra­le­ren Sicht betrach­tet werden.

    1. Ja, mit dem Pro­blem habe ich mich auch schon her­um­ge­schla­gen. Es ist auch eine Kri­tik, mit der Alte­mey­er kon­fron­tiert ist, dass es lin­ke Auto­ri­tä­re bei ihm gar nicht geben kann, weil Auto­ri­tä­re in sei­nem Kon­strukt auto­ma­tisch rechts sind.

      Aller­dings kön­nen wir nicht auf der einen Sei­te mit Mess­in­stru­men­ten arbei­ten und dann so eine Drei­ecks­theo­rie auf­stel­len, weil uns das irgend­wie fai­rer erscheint. Bzw. wäre das erst­mal eine Hypo­the­se, die man durch ent­spre­chen­de Mes­sun­gen prü­fen müsste.

      Und was Mes­sun­gen betrifft, wis­sen wir zumin­dest, dass Auto­ri­ta­ris­mus mit Offen­heit deut­lich nega­tiv kor­re­liert. Es könn­te durch­aus sein, dass es beim Füh­rungs­per­so­nal irgend­wel­che Beson­der­hei­ten gibt, man wird ja nicht nur durch Zufall Füh­rungs­per­so­nal. Viel­leicht gibt es dazu auch Daten, die mir jetzt nicht bekannt sind, aber von den bekann­ten Regel­mä­ßig­kei­ten aus­ge­hend ist anzu­neh­men, dass auto­ri­tä­re Füh­rer und ihr Per­so­nal eher weni­ger offen sind, also so gese­hen eher rechts.

      Mir scheint das auch unter noch einem ande­ren Aspekt plau­si­bel. Man kann die Schei­de­li­nie zwi­schen links und rechts auch an den unter­schied­li­chen Hal­tun­gen zu Hier­ar­chie fest­ma­chen. Jor­dan Peter­son macht das häu­fig. Ganz grob gespro­chen sind Rech­te eher pro Hier­ar­chie und Lin­ke eher kon­tra. Das spricht auch dafür, Auto­ri­tä­re eher rechts zu sehen. Lin­ke sind aller­dings eher die Agen­ten des Cha­os, das auto­ri­tä­re Model­le attrak­tiv macht.

  4. Die posi­ti­ve Hal­tung Kon­ser­va­ti­ver zu Hier­ar­chie ist m.E. bei Peter­son Teil von deren umfas­sen­de­rem Bedürf­nis, die pre­kä­re Sta­bi­li­tät der schüt­zen­den tra­dier­ten Ord­nung gegen den stets dro­hen­den Ein­bruch des Cha­os abzu­si­chern. Umge­kehrt rebel­lie­ren Lin­ke gegen eine als ver­al­tet und unnö­tig restrik­tiv emp­fun­de­ne Ord­nung und ihre Hier­ar­chien. Der ent­schei­den­de Unter­schied zwi­schen Lin­ken und Rech­ten wäre dem­nach die Ein­schät­zung, ob es zu viel oder zu wenig Ord­nung gibt. 

    Was ist aber mit dem Fall, dass eine Grup­pe die alte Ord­nung bekämpft, um sie durch eine neue zu erset­zen? Ein aktu­el­les Bei­spiel wäre die inter­sek­tio­na­le Ideo­lo­gie, bei der es im Kern dar­um geht, die bestehen­de Ord­nung der »wei­ßen alten Män­ner« abzu­lö­sen durch die inter­sek­tio­na­le Opfer­py­ra­mi­de, in der alle Grup­pen nach ihren unver­än­der­li­chen bio­lo­gi­schen Merk­ma­len hier­ar­chisch ange­ord­net sind. Sind die­se Leu­te dann »links« nur in Bezug auf die alte Ord­nung und »rechts« in Bezug auf die neue?

    Noch ver­wir­ren­der wird es dadurch, dass die­se Umwäl­zun­gen vom gesell­schaft­li­chen Estab­lish­ment (Regie­rungs­par­tei­en, Main­stream-Medi­en, Gewerk­schaf­ten, teil­wei­se auch den Kir­chen) pro­pa­giert und beför­dert wer­den, Arm in Arm mit jun­gen Eli­te­stu­den­ten, lin­ker Sze­ne und Anti­fa. Rebel­liert hier die Ord­nung gegen sich selbst? Und ist das dann links oder rechts? Fin­den sich Men­schen, die Offen­heit schät­zen, eher unter den Befür­wor­tern oder unter den Geg­nern der neu­en Ord­nung? Und stüt­zen Men­schen mit hoher Gewis­sen­haf­tig­keit wei­ter­hin den (sich ändern­den) Sta­tus Quo oder ver­tei­di­gen sie lie­ber ihre bedroh­ten Traditionen?

    Mei­ne Ver­mu­tung ist, dass in die­ser Situa­ti­on die Zuord­nung von »lin­ken« und »rech­ten« Per­sön­lich­keits­ty­pen zur »rech­ten« und »lin­ken« Sei­te des Kul­tur­kamp­fes (und damit auch die­se Eti­ket­ten) nicht mehr funk­tio­niert, da sich auf­grund der oben beschrie­be­nen Kon­fu­si­on zuneh­mend bei­de Typen auf bei­den Sei­ten fin­den. Das wür­de auch die von dir beschrie­be­ne zu beob­ach­ten­de Links­flucht erklären. 

    Eine wirk­lich inter­es­san­te Fra­ge: Wel­che Eigen­schaf­ten zeich­nen Men­schen aus, die sich in Fol­ge des Kul­tur­kamp­fes genö­tigt sehen, ihre tra­di­tio­nel­le poli­ti­sche Ver­or­tung zu ändern?

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