Die Schreckenstat von Hanau hat den Riss durch die Bevölkerung vertieft, den Hass der Ränder aufeinander verstärkt und uns alle noch einmal nervöser gemacht. Wie bei jedem Amoklauf liegt die größte Tragik in der sinnlosen Brachialgewalt, die scheinbar aus dem Nichts heraus in das Alltagsleben Unschuldiger hereinbricht und sie in den Tod reißt. Zuerst gilt es dann um die Opfer zu trauern, die Hinterbliebenen gut zu versorgen und sich auf Achtsamkeit zu besinnen – nicht im Sinne von Überwachung, sondern im Sinne gelebter Mitmenschlichkeit im Alltag. Soziale Kälte, Isolation und Ignoranz machen solche Taten möglich. Eine deutliche Regelmäßigkeit bei Amokläufen ist, dass sie sich ankündigen. Die Bereitschaft zu einer solchen Tat ist nicht einfach da, sondern entwickelt sich über einen langen Zeitraum. Meistens kommunizieren die späteren Täter mehrfach, dass sie auf einem dunklen Weg sind. Es gibt keine einfachen Antworten, aber das Wegsehen anderer gehört auffallend oft zu den Voraussetzungen solcher Taten.
Es ist allerdings auch unvermeidlich und notwendig, nach den größeren politischen Implikationen außeralltäglicher Gewaltausbrüche zu fragen. Die Opfer ernstzunehmen heißt auch, zu versuchen, ähnliche Gewaltausbrüche in Zukunft nach Möglichkeit zu verhindern. Es ist also nicht falsch, nach der politischen Bedeutung von Hanau zu fragen. Dennoch ist es tragisch, wie sehr hierbei alles dem vorhersehbaren Muster folgt. Die Tragik der unmittelbaren Destruktivität der Tat kann sich noch vervielfachen, wenn diese gesellschaftliche Entwicklungen anstößt oder verschärft, die weitere blutige »Verwerfungen« (Y. Mounk) wahrscheinlicher machen, bis hin zur Destabilisierung des gesamten Systems. Es ist im Kern die Tragik von Blutfehden, bei denen Menschen auf Leid und Tod mit der Schaffung von immer mehr Leid und Tod reagieren, hier allerdings in höherer Größenordnung und auf höherem Komplexitätsniveau.
Es war absehbar, dass es irgendwann wieder eine rechte Gewalttat geben würde, ebenso wie absehbar war und ist, dass es irgendwann wieder eine islamistische oder anderweitig auffällige Gewalttat von Zuwanderern geben würde. Dies ist im Sinn des oben Gesagten kein Kleinreden, sondern ein Hinweis auf die wichtige Überlegung, was wir tun können, damit sich in Folge solcher Gewalttaten nicht immer mehr gesellschaftliche Destruktivkräfte aufstauen. Den bereits identifizierten Feind noch heftiger bekämpfen zu wollen ist emotional naheliegend und nachvollziehbar, aber ob es dem sozialen Frieden dient, ist fraglich. Wenn man ihn nicht in absehbarer Zeit besiegen kann, bedeutet das Vorhaben zunächst nur einen längeren und intensivierten Krieg.
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