Albigna

Letz­ten Som­mer habe ich etwas Zeit in den Schwei­zer Ber­gen ver­bracht. Im Kan­ton Grau­bün­den steht nahe dem Tal Ber­gell ein beein­dru­cken­des Bau­werk: Die Stau­mau­er des in 2162 Meter Höhe gele­ge­nen Albi­g­na­sees. Sie erzeugt seit ihrer Fer­tig­stel­lung im Jahr 1959 Strom für das Elek­tri­zi­täts­werk Zürich, schützt die Tal­be­woh­ner vor Über­schwem­mun­gen und fun­giert als Brü­cke. Sie misst bis zu 115 Meter Höhe mal 760 Meter Länge.

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Wilde Horden im Internet: Ein Spezialfall des Mythos vom reinen Bösen

Anknüp­fend an den vor­an­ge­hen­den Arti­kel über die Wahr­neh­mung ideo­lo­gi­scher Geg­ner als böse gehe ich hier anhand von Bei­spie­len auf eine Vari­an­te des Mythos des rei­nen Bösen ein, die uns im Inter­net­zeit­al­ter häu­fig begeg­net. Ich bezeich­ne sie als »Wil­de Hor­den«. Die­se tre­ten in Erzäh­lun­gen auf, die besa­gen, dass da drau­ßen bzw. im Inter­net eine wil­de Hor­de ihr Unwe­sen trei­be, die der Leser/Zuhörer fürch­ten und has­sen soll. Sol­che Erzäh­lun­gen haben die Funk­ti­on, ein Moral­sys­tem zu repro­du­zie­ren und die Pola­ri­tät von Gut und Böse zu schär­fen, was die eige­ne Sei­te ent­spre­chend hel­ler als gut erstrah­len lässt. Wil­de Hor­den sind ein dank­ba­res Ziel für Pro­jek­tio­nen des Bösen, weil sie furcht­ein­flö­ßend und zugleich anonym und nicht greif­bar sind. Will man kon­kre­te Per­so­nen beschul­di­gen, braucht man Bewei­se und muss sich der Ver­tei­di­gung der Beschul­dig­ten stel­len. Wil­de Hor­den hin­ge­gen kön­nen sich nicht und kann man nicht ver­tei­di­gen. Wil­de-Hor­den-Erzäh­lun­gen sta­bi­li­sie­ren mora­li­sche Gemein­schaf­ten, doch auf gesamt­ge­sell­schaft­li­cher Ebe­ne zer­stö­ren sie Vertrauen.

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Warum wir ideologische Gegner als bösartig wahrnehmen

Das Böse betritt die Welt meist unbe­merkt von den­je­ni­gen, die ihm die Tür öff­nen und es ein­las­sen. Die meis­ten Men­schen, die Böses tun, sehen ihre Taten nicht als böse an. Das Böse exis­tiert pri­mär im Auge des Betrach­ters, ins­be­son­de­re des Opfers.

Roy Bau­meis­ter in: »Evil: Insi­de Human Vio­lence and Cruel­ty« (Deutsch: »Vom Bösen: War­um es mensch­li­che Grau­sam­keit gibt«), mei­ne Über­set­zung

Im lin­ken wie im rech­ten Lager erklärt man sich die abwei­chen­den Stand­punk­te der Geg­ner häu­fig damit, dass die­se von zer­stö­re­ri­schen Absich­ten getrie­ben sei­en. Damit kon­tras­tie­ren in der Wahr­neh­mung die jeweils eige­nen Absich­ten, die man für gut, pro­duk­tiv und men­schen­freund­lich hält. Der Vor­wurf an die Gegen­sei­te, von Bos­heit getrie­ben zu sein und zer­stö­ren zu wol­len, kommt in vie­len For­men vor. Eine der häu­figs­ten ist heu­te die Ankla­ge des Has­ses. Wei­te­re Bei­spie­le sind »Het­ze«, »Faschis­ten«, »men­schen­ver­ach­tend«, »Demo­kra­tie­fein­de«, »Ver­fas­sungs­fein­de« und »die Mas­ken fal­len«. Sie alle wol­len dar­auf hin­aus, dass der Geg­ner ins­ge­heim bös­ar­ti­ge, zer­stö­re­ri­sche Absich­ten verfolge. 

In die­sem Arti­kel argu­men­tie­re ich auf Basis des ein­gangs zitier­ten Buches von Bau­meis­ter, dass die Wahr­neh­mung des poli­ti­schen Geg­ners als böse ein psy­cho­lo­gi­scher Reflex ist, der das Den­ken ver­zerrt, die Kom­mu­ni­ka­ti­on behin­dert und zur Eska­la­ti­on der gegen­sei­ti­gen Feind­se­lig­kei­ten bei­trägt. Indem wir uns die­se Mecha­nis­men bewusst machen, kön­nen wir ihnen bes­ser widerstehen.

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Die Empathielücke und die Krise der Männlichkeit

Die­ser Text erschien ursprüng­lich in mei­nem alten Blog als Bei­trag zum Tag der Geschlech­ter-Empa­thie­lü­cke am 11. Juli 2018. Ein Jahr spä­ter ver­öf­fent­li­che ich ihn hier gering­fü­gig über­ar­bei­tet wie­der. Im Alter­na­tiv­los-Aqua­ri­um fin­den Sie wei­te­re Infor­ma­tio­nen und Bei­trä­ge zum The­ma.

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»Es ist gut, wenn wei­nen­de Män­ner im Fern­se­hen gezeigt werden«.

Die­sen Satz hör­te ich neu­lich in einer Knei­pen­run­de, die sich zum WM-Spiel Kolum­bi­en gegen Eng­land ver­sam­melt hat­te. Nach Ver­län­ge­rung und Elf­me­ter­schie­ßen hat­te Eng­land gewon­nen. Eines der Stim­mungs­bil­der nach dem Abpfiff zeig­te einen kolum­bia­ni­schen Spie­ler auf der Bank, der sicht­lich nie­der­ge­schla­gen war und Trä­nen in den Augen hatte.

Dazu äußer­te eine jun­ge Frau am Tisch obi­gen Satz. Jemand ande­res in Hör­wei­te, männ­lich, pflich­te­te nach­drück­lich bei, als hät­te sie etwas Pro­fun­des gesagt, das man gar nicht oft genug wie­der­ho­len kann.

Dies stell­te mich vor ein Dilem­ma. Soll­te ich schwei­gen oder ihre Äuße­rung zurück­wei­sen und damit eine poli­ti­sche Dis­kus­si­on vom Zaun brechen?

Trotz inne­rem Pro­test zu schwei­gen ist immer eine Unehr­lich­keit gegen­über ande­ren und sich selbst. Zu wider­spre­chen ande­rer­seits birgt bei sen­si­blen The­men eine gewis­se Wahr­schein­lich­keit, dass dar­aus Kon­tro­ver­sen fol­gen, die leicht eine Stun­de oder auch den gan­zen Abend dau­ern kön­nen. Dabei woll­ten wir alle uns doch nur in freund­li­cher Gesell­schaft ent­span­nen. Habe ich das Recht, den Abend in Beschlag zu neh­men? Und habe ich Lust dazu?

Es gäbe theo­re­tisch auch den Mit­tel­weg, höf­lich und diplo­ma­tisch zu wider­spre­chen statt »Bull­shit« zu sagen, wie es mir auf der Zun­ge lag, oder vor­sich­tig nach­zu­fra­gen, was sie mein­te. Aber auch das wäre unehr­lich gewe­sen, denn ich will mir gar nicht zum x‑ten Mal den immer glei­chen, modisch män­ner­feind­li­chen Quatsch anhö­ren, dass tra­di­tio­nel­le Männ­lich­keit »toxisch« sei und Män­ner mehr wie Frau­en wer­den müss­ten und/oder mehr Femi­nis­mus brauchten.

Wie klingt die Gegen­pro­be: »Es ist gut, wenn wei­nen­de Frau­en im Fern­se­hen gezeigt wer­den«. Wür­de man das in einer gesel­li­gen Run­de sagen, mit einem Aus­druck der Genug­tu­ung beim Anblick einer wei­nen­den Frau? Wie wür­den die Leu­te dar­auf reagieren?

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Moralisierung macht blind für Kausalität

Für den hier ange­kün­dig­ten Arti­kel über das Ver­hält­nis von Links und Rechts zu Gut und Böse beschäf­ti­ge ich mich gera­de mit dem inter­es­san­ten Buch »Evil: Insi­de Human Vio­lence and Cruel­ty« (»Vom Bösen: War­um es mensch­li­che Grau­sam­keit gibt«) von dem Sozi­al­psy­cho­lo­gen Roy Bau­meis­ter. Aus dem Arti­kel wer­den wahr­schein­lich meh­re­re und ich brau­che noch Zeit dafür. (Nach­trag: der ers­te ist »War­um wir ideo­lo­gi­sche Geg­ner als bös­ar­tig wahr­neh­men«.) In der Zwi­schen­zeit brach­te ein Abschnitt aus besag­tem Buch mir eine Beob­ach­tung wie­der stär­ker zu Bewusst­sein, die ich schon öfter ange­stellt hat­te und im Fol­gen­den nachzeichne.

Es geht um die Beob­ach­tung, dass wir nicht nur schlecht dar­in sind, in Kau­sa­li­tä­ten zu den­ken, also in Ursa­chen und Wir­kun­gen, son­dern dass wir es bei mora­li­sier­ten oder sakra­li­sier­ten The­men anschei­nend gar nicht ernst­haft ver­su­chen. Das ist para­dox, denn wenn wir Zie­le ver­fol­gen, die uns hei­lig sind, soll­ten wir uns beson­ders ver­ge­wis­sern wol­len, dass unse­re Mit­tel geeig­net sind, die Zie­le zu errei­chen. Doch das scheint nicht der Fall zu sein. Im Gegen­teil zei­gen wir ein auf­fäl­li­ges Des­in­ter­es­se bis hin zu akti­ver Abnei­gung gegen eine Kri­tik der Mittel.

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Offenheit versus Gewissenhaftigkeit: Der psychologische Unterschied zwischen Linken und Rechten

Man erzählt nie­man­dem etwas Neu­es, wenn man sagt, dass die Span­nun­gen zwi­schen dem lin­ken und dem rech­ten Flü­gel in Poli­tik und Bevöl­ke­rung in den letz­ten Jah­ren gefähr­lich ange­stie­gen sind. In einem groß­ar­ti­gen impro­vi­sier­ten Vor­trag über die Mei­nungs­frei­heit warn­te Hamed Abdel-Samad schon im Herbst 2015 davor, unse­ren »geis­ti­gen Bür­ger­krieg« in einen tat­säch­li­chen Bür­ger­krieg eska­lie­ren zu lassen.

Wie vie­le ande­re sieht er in der Mei­nungs­frei­heit das geeig­ne­te Mit­tel, um die­se Eska­la­ti­on zu ver­hin­dern. Durch sie kön­nen Men­schen ihre Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten mit Wor­ten statt Fäus­ten aus­tra­gen. Durch sie fin­den sie Kom­pro­mis­se, in denen sich jeder Betei­lig­te ver­tre­ten füh­len kann. Dies ermög­licht es allen, eine gewis­se Loya­li­tät dem gro­ßen Gan­zen gegen­über zu bewah­ren, statt sich von der Mehr­heit oder den Mäch­ti­gen tyran­ni­siert zu fühlen.

Die­ser Arti­kel soll zu einem kla­re­ren Ver­ständ­nis des­sen bei­tra­gen, was Rech­te und Lin­ke all­ge­mein auf psy­cho­lo­gi­scher Ebe­ne unter­schei­det. Die­ses Ver­ständ­nis hilft, die kom­ple­men­tä­re Berech­ti­gung bei­der zu sehen und sich von den wech­sel­sei­ti­gen Dämo­ni­sie­run­gen zu lösen, die Feind­schaft und Irra­tio­na­li­tät eska­lie­ren las­sen und damit eine Dis­kus­si­on unmög­lich machen.

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homo duplex

Engelsstatue

Ich habe den Namen die­ses Blogs in »homo duplex« geän­dert. Der ursprüng­li­che Name »Cul­tu­re War« gefiel mir in der Pra­xis nicht mehr.

Er traf zwar eini­ger­ma­ßen das The­ma, um das die Arti­kel hier krei­sen, war mir aber schlicht zu aggres­siv. Es setzt den fal­schen Rah­men, wenn dem Leser immer als ers­tes die Idee »Krieg« ent­ge­gen­prangt. Es lässt einen eher in Deckung gehen und nach dem Feind Aus­schau hal­ten, legt also nahe, sich in eine Kriegs­lo­gik hin­ein­zie­hen zu las­sen. Das ist nicht mein Ziel. Viel­mehr geht es dar­um, die­ses Kriegs­ge­sche­hen zu tran­szen­die­ren, indem ich ver­su­che, von einer höhe­ren War­te aus des­sen Dyna­mik auf­zu­schlüs­seln, wohl wis­send, dass ich selbst dar­in ver­strickt bin. Soweit das gelingt, wird das all­ge­mein Mensch­li­che wie­der sicht­bar, das uns ver­bin­det. Der Begriff »Cul­tu­re War« im Vor­der­grund war the­ma­tisch tref­fend und prä­gnant, führ­te aber psy­cho­lo­gisch in die fal­sche Richtung.

Auf der Suche nach Alter­na­ti­ven kam ich bald auf »homo duplex«. Dies ist ein Kon­zept des Sozio­lo­gen Émi­le Durk­heim, auf das ich über den Psy­cho­lo­gen Jona­than Haidt gesto­ßen bin, der es zustim­mend auf­greift. Es bedeu­tet soviel wie »der dop­pel­te Mensch«. Die zwei Exis­ten­zen des Men­schen, die Durk­heim damit mein­te, sind die indi­vi­du­el­le und die sozia­le. Man könn­te auch sagen: die äffi­sche und die göttliche.

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Anonymität und Wahrheit

»Ich möch­te wis­sen, wer hin­ter sol­chen Kom­men­ta­ren steckt«, sag­te kürz­lich die CDU-Vor­sit­zen­de Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er mit Blick auf höh­ni­sche Online-Kom­men­ta­re zum Mord an dem Kas­se­ler Regie­rungs­prä­si­den­ten Wal­ter Lüb­cke. Damit gab sie den Anstoß für das jüngs­te Wie­der­auf­le­ben der Dis­kus­si­on um eine Klar­na­men­pflicht im Internet. 

Ich neh­me die­se zum Anlass, auf Basis eini­ger Über­le­gun­gen zu Anony­mi­tät, Wahr­heit und Mei­nungs­frei­heit für eine frei­wil­li­ge Ver­wen­dung von Klar­na­men im Inter­net zu plädieren.

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